Ein Cottage zum Verlieben: Roman (German Edition)
unsicheren Zeiten wie diesen.«
»Wie bei Lorina Bulwers Stickereien?«
»Ach, das«, erwidert Hannelore. »Ich habe sie mir angesehen, bevor Chris sein Projekt begonnen hat. Große Kunst, ganz gleich ob das die Malerei, Musik oder das Nähen ist, übersteigt immer die Größe des Künstlers. Man sollte sich davor hüten, allzu eilig Schlüsse aus Kunstwerken zu ziehen«, fügt sie geheimnisvoll hinzu.
René beugt sich zu mir vor und flüstert. »Nehmen Sie das nicht persönlich.«
Sieht man mir denn tatsächlich an, wie verärgert ich bin? Ich dachte, Chris und ich seien etwas ganz Besonderem auf der Spur!
»Natürlich ist es besser, wenn man Herr über sein eigenes Leben ist und sich seine eigene Kleidung und Ausstattung herstellen sowie Nahrungsmittel selbst anbauen kann. Früher habe ich immer Gemüse gegessen, das mein Vater auf seiner kleinen Datsche angebaut hat. Die Datsche mit dem selbstgezogenen Obst und Gemüse ist ein typisches Symbol für unser Land. In Ostdeutschland wurde alles selbstgemacht«, erklärt Hannelore. Bevor ich sie fragen kann, ob mein riesengroßes von Hand genähtes Knopfloch so in Ordnung geht, ist sie schon zur anderen Seite des Saals hinübergelaufen.
»Hannelore ist eine gute Lehrerin«, stellt René fest. »Nur hat sie eben diese fixe Idee, dass Nähen etwas Politisches ist. Wenn wir nicht aufpassen, wird sie uns alle zu einem Protestmarsch die Downing Street hinunter mitschleppen. Aber wenn es so weit kommen sollte, können wir wenigstens unsere eigenen Protestbanner nähen«, lacht sie und wirft ihr beneidenswert akkurat geschnittenes Haar in den Nacken.
»Aber gerade dann sollte sie sich doch für Lorinas Stickereien interessieren.«
René zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber wie läuft es denn bei Ihnen? Haben Sie während der Osterferien etwas Schönes unternommen?«
»Na ja, wo soll ich anfangen?«, frage ich und freue mich, dass sich jemand danach erkundigt. »Wir haben einen Ausflug nach Great Yarmouth gemacht. Wir, das heißt die Mädchen, Adis Mutter und ich. Meine Schwiegermutter wohnt dort ganz in der Nähe. Aber ich muss Ihnen unbedingt die Begründung erzählen, warum Adi nicht mitgekommen ist.«
»War er im Schrebergarten? Ich verrate Ihnen mal was: Als Frau eines Imkers ist man genauso einsam. Mein Mann ist oft unterwegs und reist mit seinen Bienen umher.«
»Dieses Mal war es gar nicht der Schrebergarten. Er ist wegen der Hühner zuhause geblieben.«
»Wegen der Hühner?«
»Ja. Jedes Familienmitglied hat zu Ostern ein Huhn geschenkt bekommen. Echte, lebende Hühner! Ich will ja wirklich nicht undankbar sein, aber ein winzig kleines Schokoladenei wäre nett gewesen. Jedenfalls waren wir alle abfahrbereit, und sämtliche Koffer meiner Schwiegermutter, die sie für ihre zwei Übernachtungen in Reedby angeschleppt hatte, waren im Auto verstaut, als Kurt plötzlich auftauchte. Die Mädchen haben ihm von den Hühnern erzählt, woraufhin er dann von Hühnerdiebstahl anfing.«
»Hühnerdiebstahl?«, brüllt Joyce quer durch den Gemeindesaal.
»Laut Kurt ist das meiste Fleisch, das man auf Bauernmärkten kaufen kann, geklaut – insbesondere seltene Züchtungen. Darum ist Adi dann lieber zuhause bei den Hühnern geblieben«, schließe ich mit einem ironischen Unterton.
»Männer nutzen anscheinend jeden Strohhalm, um nicht ausgehen zu müssen«, lacht René. »Haben Sie Lorinas Arbeitshaus besucht, als sie in Great Yarmouth waren?«, fährt sie fort.
»Nein. Als wir dort ankamen, goss es in Strömen. Stattdessen haben wir alle diesem neuen, preisgekrönten Museum mit angeschlossener Galerie einen Besuch abgestattet. Es ist in einer alten Fischfabrik untergebracht, wo wir auch zu Mittag gegessen haben – eingelegten Sahnehering. Danach fand ich, wir sollten uns die Ausstellung ansehen. Das war der Fehler.«
»Wieso? Was ist denn passiert?«, erkundigt sich René. »Haben die Kinder etwas angestellt?«
»Nicht die Kinder. Es war Adis Mutter, Pam, die etwas angestellt hat.«
»Erzählen Sie schon!«, fordert mich René auf. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass auch Joyce ganz Ohr ist und sogar aufgehört hat zu nähen. Selbst Juneko lauscht interessiert.
»Wir sind nur in die Great British Art Gallery gegangen. Ich bin geradewegs auf das Tracy-Emin-Ausstellungsstück zugesteuert, diesen fahnengroßen Quilt mit dem aufgenähten Text.«
»Ich finde sie ganz witzig«, stellt René fest. »Wäre ich ein paar Jahre später zur Welt gekommen, hätte
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