Ein Cowboy aus Manhattan
klingelte. Ich wartete, klingelte dann noch einmal und
wartete wieder. Als sich auf das vierte Schellen niemand meldete, warf ich
einen Blick in die Garage und sah das blaue Cabrio dort stehen. Ich schaute auf
die Uhr. Fünf nach elf, so spät war das wirklich nicht. Also ging ich wieder
zur Tür, setzte meinen Daumen auf den Klingelknopf und drückte beharrlich.
Eine halbe Minute später wurde
die Tür aufgerissen, und ein Paar Augen starrten mich mit tiefem Haß an.
»Was ist los?« fauchte Virginia
Bailey. »Leiden Sie vielleicht unter Schlaflosigkeit?«
Sie trug einen kurzen
Bademantel, der gerade bis zu den Hüften reichte. Um den Kopf hatte sie ein
weißes Handtuch geschlungen.
»Sie brauchen es ja nicht zu
glauben«, knurrte sie, »aber ich war gerade unter die Dusche gegangen, als Sie
mit diesem Getöse anfingen. Was wollen Sie, Boyd?«
»Es ist ein so schöner Tag, da
dachte ich mir, schaust mal bei den Baileys herein«, sagte ich milde. »Lassen
Sie sich nicht stören. Ich mache mir einen Drink, während Sie fertig duschen.«
Ich ging rasch an ihr vorbei,
ehe sie reagieren konnte, und war schon fast im Wohnraum, als sie zu schreien
anfing.
»Sparen Sie Ihren Atem,
Verehrteste«, sagte ich großzügig. »Sie haben doch nicht die Statur, um mich
hinauszuwerfen. Gehen Sie lieber duschen, ich trinke in der Zwischenzeit
etwas.«
Sie belegte mich mit
unmöglichen, unwahren und verletzenden Schimpfwörtern und stapfte dann murrend
weg. Sie verschwand in Richtung Schlafzimmer, und ich wartete einige Sekunden,
ehe ich ihr auf Zehenspitzen folgte. Die Tür zum Schlafzimmer war nur
angelehnt. Ich lauschte sorgfältig und hörte Wasser laufen. Sachte stieß ich
die Tür etwas weiter auf und glitt ins Zimmer. Das Bett war zerwühlt, die
Tagesdecke lag auf dem Boden, und auf der Kommode standen alle möglichen
Fläschchen, Tiegel und Töpfe, mit deren Hilfe ein weibliches Gesicht
zusammengebaut wird. Das jedoch, was ich zu finden gehofft hatte, thronte auf
einem Ständer in der Mitte der Kommode, hoch über den weniger wichtigen
Schönheitsmittelchen.
Es war ein herrlicher Tag, ich
konnte nicht dauernd Glück haben, so beschloß ich, mir noch eine Zigarette
anzustecken. Beim vierten Zug wurde die Dusche abgestellt. Wenige Sekunden
später ging die Tür auf, und Virginia kam ins Schlafzimmer. Sie hatte sich
wieder das weiße Handtuch um den Kopf gewickelt, aber das war alles, was sie
trug. Ihre vollen Brüste hörten auf zu hüpfen, als sie wie angewurzelt
stehenblieb und mich mit ungläubigen Augen anstarrte.
»Sie sind ein mieses Schwein«,
sagte sie verbissen. »Wenn Sie auch nur versuchen, mich anzufassen, bringe ich
Sie um!«
»Das hat mich schon lange
beschäftigt«, sagte ich. »Sie sah immer so windzerzaust aus, selbst wenn gar
kein Wind wehte.« Ich ging hinüber zur Kommode und strich über die weichen
blonden Locken der Perücke, die so königlich auf ihrem Ständer thronte. »Fay
Nichols. Nur ein Name, eine Personenbeschreibung. Ein Mädchen mit kurzen
braunen Haaren, grünen Augen und einer guten Figur. Braune Haare werden blond,
wenn man eine Perücke aufsetzt, und blaue Augen werden mit Hilfe von
Kontaktlinsen grün.«
Ich riß ihr den Turban vom
Kopf. Niemand rief > Olé <, als plötzlich kurzes, feuchtes, braunes
Haar zum Vorschein kam.
»Sie sind viel gereist«, fuhr
ich ungezwungen fort, »das haben Sie mir erzählt. Wenn Sie unterwegs waren,
haben Sie als Fay Nichols mit Joe Hill und den Jungs gearbeitet. Hier in Santo
Bahia waren Sie die kleine Virginia Bailey, und jeder kannte Sie noch aus der
Zeit, als Sie ein reizendes kleines Schulmädchen waren. Jeder kannte Sie, und
keinen Mann störte es, wenn die hübsche Blondine sich so sehr für seine
Geschäfte interessierte.«
Sie biß sich auf die
Unterlippe. »Das haben Sie doch nicht so einfach herausbekommen«, sagte sie.
»Da muß doch noch mehr dahinterstecken.«
»Vielleicht das Gefühl, daß
alles zu rasch und zu gut funktionierte, wenn Sie in der Nähe waren«, sagte
ich. »Und noch schneller, wenn Sie nicht da waren. Ich hatte nur so nebenbei
erwähnt, daß man vielleicht im Country Club angefangen hatte, Ihren Vater zum
Ausnehmen reif zu machen. Und sie haben prompt vorgeschlagen, daß wir dort
essen gehen. Plötzlich taucht Louise auf und sagt, daß wir zu einer Party
eingeladen sind, weil ihr Freund Walt sicher ist, Ihren Vater vor drei Monaten
in Las Vegas kennengelernt zu haben. Selbst der dümmste Fisch wird unsicher,
wenn
Weitere Kostenlose Bücher