Ein delikater Liebesbrief
danach. Sein Kuss erzählte von Nacktheit, von Brüsten ohne hinderliche Korsetts, von Lenden ohne Hosen.
Und seine Frau, seine kleine prüde Frau mit dem geraden Rücken, verstand diese Botschaft sofort. Sie stemmte ihre Hände gegen seine Schultern und murmelte etwas Unverständliches. Eine Ermahnung wahrscheinlich. Doch er schmeckte sie … spürte die Leidenschaft, die in ihr schlummerte, selbst wenn sie sich wehrte. Also hob er sie hoch und setzte sie wieder auf seinen Schoß und ein Feuer verbrannte seine Lenden, als ihr Hintern seine Beine berührte. Dann eroberte er ihren Mund, während seine Arme sie festhielten.
Urplötzlich spürte er ihre Zunge, die vielleicht schüchtern, aber gewiss willig war. Die zügellose Lust, die seinen Körper überrollte, war eine Offenbarung.
Simon Darby verlor nie die Beherrschung. Nie. Schon früh im Leben war er zu der Überzeugung gelangt, dass starke Gefühle peinlich und abstoßend waren. Er hatte die Zornausbrüche seiner Stiefmutter erlebt, während sein Vater – immer noch verzaubert von seiner schönen Frau – sich kaum darüber beschwerte. Später hatte Darby mitansehen müssen, wie sein Vater spielsüchtig wurde und sich nicht beherrschen konnte, immer höher und höher zu bieten, selbst wenn seine Karten keinen Wert mehr hatten. Darby hatte sich daher schon früh bemüht, seine Gefühle im Zaum zu halten.
Doch jetzt wusste er tief im Inneren, dass seine eigene Frau imstande war, diese mühsam errichteten Barrieren einzureißen. Er zitterte … wirklich, er zitterte am ganzen Leibe. Niemals in seinem Leben hatte er gezittert, wenn er eine Frau in den Armen hielt. Es war demütigend!
Er musste mit ihr reden, musste ihr erklären, dass er kein …
»Was machst du da mit Henrietta?«, fragte eine helle Stimme von der gegenüberliegenden Sitzbank.
Seine Frau gab einen heiseren Laut von sich und riss sich so rasch von ihm los, dass sie fast auf den Kutschenboden gestürzt wäre.
Darby richtete sich auf und starrte seine Schwester an. Wie lange war Josie schon wach? Da saß sie, ihm gegenüber, den Daumen im Mund und schaute sie beide fragend an.
»Ich habe Henrietta begrüßt«, erklärte er.
Josie kniff die Augen zusammen. » Mich begrüßt du aber nie so«, stellte sie fest.
»Du bist ja auch nicht meine Frau.«
Sogleich presste Josie rebellisch die Lippen zusammen. Darby wappnete sich für einen neuerlichen Ausbruch des mutterlosen Waisenkindes , doch Henrietta griff ein, bevor Josie auch nur Luft holen konnte.
»Bedenke, was ich dir gesagt habe, Liebes«, sagte sie und nickte zu dem Lampenschirm.
Und zu Darbys ungeheurer Überraschung blinzelte Josie verblüfft und … hielt den Mund. Offenbar war mit dem Lampenschirm eine grimmige Drohung verbunden.
»Simon wollte dich nicht kränken«, fuhr Henrietta fort. Während sie das sagte, drehte sie ihre Haare flink zu einem Knoten, doch er konnte sich nicht vorstellen, wie sie diesen auf ihrem Kopf feststecken wollte, ohne das Netz zu benutzen (das mittlerweile sicher in Darbys Tasche steckte).
Zum Glück ratterte die Kutsche in diesem Augenblick über Kopfsteinpflaster, ein sicheres Zeichen, dass sie endlich beim Bär und Eule angelangt waren.
»Dein Bruder und ich haben uns nur begrüßt«, bestätigte Henrietta Darbys Aussage. Sie gab es auf, ihr Haar zu frisieren, und setzte lediglich ihre Haube auf. »Eheleute pflegen sich mit einem Kuss zu begrüßen, wenn sie einander unerwartet begegnen.«
Josie sah zwar nicht überzeugt aus, aber Henrietta drängte sie nun, rasch ihr Häubchen aufzusetzen, da sie zweifelsohne am Gasthof angelangt waren.
Darby war ebenso wenig überzeugt wie seine Schwester. Er schaute argwöhnisch auf seinen Schoß. Wenn dies lediglich eine Begrüßung sein sollte, was würde seine Frau dann erst über die Vorgänge in der Hochzeitsnacht denken?
Er warf einen verstohlenen Blick auf Henrietta und stellte befriedigt fest, dass ihre Wangen gerötet waren, dass ihre Unterlippe von seinen wilden Küssen angeschwollen war.
Leichter Schneefall setzte ein, als Darby aus der Kutsche stieg. Es war zwar erst früher Abend, doch der Himmel war düster und verhangen, bald würde ein Sturm aufziehen. Henrietta reichte ihm die immer noch schlaftrunkene Anabel. Darby schaute sich nach einem Diener um, doch der einzige, der zur Verfügung stand, sah wie ein rechter Tollpatsch aus, der die Kleine womöglich fallen lassen würde. So fand er sich zu seinem Erstaunen mit einem Kind auf dem Arm
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