Ein delikater Liebesbrief
wieder, das er in den Gasthof trug. Anabel erwachte, schenkte ihm ein zahnloses Lächeln und nannte ihn Mama . Sie war wirklich ein bezauberndes kleines Persönchen, besonders wenn sie nicht allzu schlecht roch.
Zarte Schneeflocken fielen auf Henriettas feurige Haarmähne und vergingen sofort. Sie verbrannten, daran konnte kein Zweifel bestehen.
»Ich glaube nicht, dass wir morgen weiterreisen können«, sagte Darby, als er seine Frau einholte, die Josie an der Hand in den Gasthof führte.
»Oje«, sagte Henrietta und schaute himmelwärts.
Er gab sich einer süßen Versuchung hin. »Wir müssen vielleicht den ganzen Tag im Bett verbringen«, sagte er nahe an ihrem Ohr. »Natürlich nur, um uns warm zu halten.«
Henrietta schaute zu ihm auf und überraschte ihn wieder einmal. In ihren Augen glomm ein Lächeln auf, und die Winkel ihres rosenroten Mundes verzogen sich leicht nach oben. Schneeflocken hingen in ihrem Haar und in ihren Wimpern, aber sie war beileibe keine Eisprinzessin – kalt und hart bis ins Mark.
Schweigend folgte er ihr ins Haus, weil er buchstäblich nicht wusste, was er sagen sollte. Die Erkenntnis, dass ein simples Lächeln eine solche Hitze in seinem Körper auslösen konnte, jagte ihm eine Heidenangst ein.
35
Ein Dinner für drei
»Hat die Dorforgel Ihren Ansprüchen genügt, Lord Godwin?«, erkundigte sich Henrietta, fest entschlossen, ihren frischgebackenen Ehemann zu ignorieren. Denn dieser benahm sich geradezu schamlos, drückte sein Bein gegen ihres und lächelte sie an, als ob er … als ob … Sie verdrängte den Gedanken.
Der Gastwirt wieselte eilfertig herein und überwachte persönlich das Abräumen der Fischplatten. Dann wurde ein Hammelragout aufgetragen.
»Schlecht war sie nicht.« Selbst wenn Lord Godwin zur Abwechslung einmal nicht grunzte, klang seine Stimme desinteressiert. Henrietta wurde allmählich ungehalten. Seit einer halben Stunde gab sie ihr Bestes, um ein Gespräch mit dem angeblich besten Freund ihres Mannes in Gang zu bringen, doch dieser war ein entsetzlich rüder Mensch, anders konnte man es nicht nennen.
Auch nach ihrer letzten Frage zeigte er sich keineswegs geneigt, zu antworten, sondern stach mehrmals prüfend in seine Hammelkeule, als wäre diese zu roh. Henrietta nahm einen Schluck Burgunder und ermahnte sich, nur ja keine spitze Bemerkung über sein schlechtes Benehmen zu machen. Es ging sie überhaupt nichts an, ob dieser Mann schweigsam und griesgrämig oder gar ein …
Sie beschloss, ihm noch eine letzte Chance zu geben.
»Lord Godwin, was halten Sie von Napoleons Verbannung nach Elba? Glauben Sie, er wird auf der Insel bleiben müssen?«
»Das kümmert mich einen feuchten Kehricht.«
Henrietta warf ihrem Ehemann einen verzweifelten Blick zu.
»Ich würde mir gar nicht die Mühe machen«, riet der ihr. »Rees hat schon so lange nicht mehr mit einer anständigen Frau geredet, dass es ihm an passenden Worten für die Konversation mangelt.«
Doch Henrietta war nicht umsonst bekannt für ihre Hartnäckigkeit. »Sind Sie nicht auch der Meinung, dass Frankreich ein außerordentlich interessantes Jahr erlebt hat, Lord Godwin?«
»Österreich vielleicht.«
»Österreich?«
»Im Herbst wurde für die Delegierten des Wiener Kongresses Beethovens Fidelio aufgeführt«, erzählte Rees gelangweilt. »Mrs Darby, falls Sie Ihren Mann mit einer profunden Kenntnis über internationale Beziehungen beeindrucken wollen, könnten Sie sich diese Betrachtungen bitte für das traute Heim aufsparen?« Er leerte sein Glas in einem Zug und stellte es klirrend auf den Tisch. »Ich versichere Ihnen, ich bin bereits genügend beeindruckt von den Fähigkeiten, die sich durch Ihren Verheiratetenstatus manifestieren.«
Henrietta kniff die Augen zusammen. Der Mann wollte sie ganz offenkundig zu einem Zornausbruch verleiten, um vermutlich irgendeine schwachsinnige Theorie über das weibliche Temperament zu beweisen, die er Darby während der Fahrt eingeredet hatte. Sie wusste nur zu gut, wie viele Probleme entstehen konnten, wenn Männer allein in einer Kutsche reisten.
Sie überlegte einen Moment, dann warf sie Rees einen übertrieben freundlichen Blick zu. »Wie nett, zu erleben, Lord Godwin, dass Sie so unerwartet beredt sein können.«
Er musterte sie argwöhnisch. Wahrscheinlich dachte er, sie würde ihm Avancen machen. Rees ist Darbys bester Freund, ermahnte sich Henrietta. Sei nett zu ihm.
»Ich fürchte, ich hatte gar nicht verstanden, wie strapazierend Sie
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