Ein delikater Liebesbrief
kann meinen Titel nicht ausstehen.«
Henrietta entzog ihm ihre Hand und legte sie wieder auf ihr Herz. »Darby, falls ich in Ohnmacht falle, musst du mich wiederbeleben. Ich spüre, dass ich mit jeder Sekunde jünger werde. Der Earl hat zu mir gesprochen. Ich bin in die illustren Ränge der Kurtisanen aufgenommen worden!«
Darby neigte sich zu ihrem Ohr. »Ich glaube nicht, dass du diesen Titel schon jetzt beanspruchen kannst. Erst nach heute Nacht, Liebling.«
Seine tiefe Stimme riss sie aus ihrer unschicklichen Belustigung und versetzte sie in einen Taumel überwältigender Hitze. Beim Blick in seine Augen spürte sie, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. Sein Blick war verrucht, schlichtweg verrucht.
Auf der anderen Seite des Tisches kicherte Rees in sich hinein. »Zur Hölle, fast beneide ich dich, Darby.«
»Hmm-hmm«, machte der nur. Er hatte nun seinerseits Henriettas Hand genommen und hob sie an die Lippen. Es war merkwürdig: Wenn Rees ihre Hand küsste, empfand sie nichts weiter als Wohlwollen. Streifte hingegen Darby sanft mit den Lippen über ihre Fingerknöchel, dann verursachte das ein verwirrendes, kribbelndes Durcheinander in ihrem Bauch. »Wollen wir uns nun zurückziehen, meine liebe Frau?«
Henrietta entzog ihm ihre Hand. »Aber gewiss nicht! Wir haben ja noch nicht mal … da kommt der nächste Gang«, rief sie einigermaßen erleichtert, als der Gastwirt die Tür aufstieß. Er winkte einen Bediensteten herein, der Gelee, Apfel im Schlafrock und ein Tablett mit Brandy-und-Frucht-Küchlein brachte.
Rees lachte wieder, enthielt sich jedoch glücklicherweise jeglichen Kommentars. Erst als sich die Tür hinter dem Diener geschlossen hatte, sagte er: »Ich nehme an, die Höflichkeit gebietet, dass ich nun ein Gesprächsthema anschneide.«
Henrietta lächelte ihm anerkennend zu. »Sehen Sie, wie einfach es sich mit ein wenig Übung gestaltet!«
Rees schnaubte nur. »Mich interessiert doch sehr, wie Sie die Kutschfahrt überlebt haben? Ich muss zugeben: Bei der Vorstellung von einer Reise mit Klein Anabel dreht sich mir der Magen um. Ich habe einmal die Kinderstube besucht und sie hat sich zur Begrüßung auf meine Stiefel übergeben.«
»Oh, die Reise war nett …«, begann Henrietta, doch dann besann sie sich. Es gab wirklich keinen Grund für weitere Verstellung. »Eigentlich war sie grauenhaft.« Sorgfältig zerteilte sie ihren Apfel in vier gleiche Teile. »Josie hat geschrien wie eine Verrückte. So sehr, dass ich befürchtete, ihre Lunge könnte einen Sprung bekommen, wenn dies denn möglich wäre.«
Darbys warme Hand strich über ihren Rücken. »Sie ist ein undankbares kleines Biest«, sagte er.
»Nein, ist sie nicht«, widersprach Henrietta. »Sie ist nur … unglücklich. Und ich weiß einfach nicht, wie ich ihr helfen soll.«
»Ich habe immer gedacht, Anabels schwacher Magen wäre das Problem«, warf Rees ein. »Weswegen hat Josephine denn so geschrien?«
Henrietta versuchte, Darbys warme Hand auf ihrem Rücken zu ignorieren. »Sie hat geweint und ständig wiederholt, dass sie eine arme, mutterlose Waise sei.«
»Ach ja? Dann sagen Sie ihr doch, dass Sie jetzt ihre Mutter sind«, schlug Rees vor.
»Aber ich bin nicht ihre Mutter«, betonte Henrietta. »Ich habe ihr gesagt, dass ich künftig die Mutter rolle übernehmen werde, da ich nun mit ihrem Bruder verheiratet bin. Mr Bartholomew Batt, ein bekannter Fachmann in Erziehungsfragen, schreibt, dass man Kindern niemals die Unwahrheit sagen sollte.«
»Das ist Blödsinn«, meinte Darby. »Von meiner Mutter habe ich viel zu viele Wahrheiten gehört. Sag Josie einfach, dass du jetzt ihre Mutter bist, und damit hat sich’s.«
Henrietta schaute ihn mit leicht gerunzelter Stirn an, doch er führte seinen Vorschlag nicht weiter aus.
»Da stimme ich dir zu«, sagte Rees. »Sie können dem Mädel außerdem sagen, dass es aufhören soll, solch einen Wirbel zu machen, denn auf die Art wird es nie einen Ehemann bekommen. Nichts hasst ein Mann mehr als ein kreischendes Eheweib.«
»Oh natürlich, genau das muss ich ihr unbedingt sagen. Ein Ehemann ist ja so eine beneidenswerte Errungenschaft. Man braucht nur Sie als Beispiel zu nehmen, Mylord.«
Rees stieß wieder ein dröhnendes Lachen aus, schob seinen Stuhl zurück und erhob sich. Er überraschte Henrietta mit einer schwungvollen Verneigung. Einen Augenblick lang wirkte er beinahe attraktiv, da sein abstoßendes Gesicht sich beim Lächeln entspannte. »Lady Henrietta, es war mir
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