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Ein delikater Liebesbrief

Ein delikater Liebesbrief

Titel: Ein delikater Liebesbrief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eloisa James
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der Natur überlassen. Als Esme im vergangenen Sommer auf dem Gut eintraf, trug jeder Rosenstock höchstens ein bis zwei Blüten. Die Stöcke bildeten zwar Knospen aus, aber bevor sie sich öffnen konnten, machte der Mehltau den Rosen den Garaus.
    Esme beobachtete den Mann neugierig. Er verhielt sich ziemlich seltsam. Er machte sich an den Pflanzen zu schaffen, das war deutlich, aber was genau tat er denn da? Vielleicht verabreichte er ihnen ein Mittel gegen Mehltau.
    Sie benötigte eine gute halbe Stunde, um sich anzukleiden und den Hügel hinunterzugehen. Die Rasenflächen von Shantill House fielen hinter dem Hause sanft ab und der Rosenhag lag ganz unten im Tal. Dort war Esmes geheimer Lieblingsplatz. Irgendein längst verstorbener Rawlings hatte eine Bogenreihe aus weißen Latten errichten lassen und die Rosen daran hochgebunden. Als sie vor zehn Jahren als frischgebackene Braut in das Haus ihres Mannes gekommen war, hatten die Rosen prächtig geblüht, und ihr Duft hatte einen betört, wenn man auf einer der Bänke saß. Doch jetzt rankten sich nur mehr schwärzliche Dornenzweige an den Latten empor. Was in aller Welt stellte dieser Mann mitten im Winter mit den Rosen an?
    Esme schaffte es den Hang hinunter, ohne sich den Knöchel zu verstauchen, und hielt kurz vor dem Rosenhag an, um wieder zu Atem zu kommen. Dieses Kind im Leibe umherzutragen war anstrengender, als sie sich jemals hätte vorstellen können. Vor ihrer Schwangerschaft hatte Esme die vage Vorstellung gehegt, man trage ein Baby einfach umher, bis es sich entschloss, geboren zu werden. Kein Mensch hatte sie vor den hysterischen Anfällen gewarnt, den geschwollenen Knöcheln oder dem schwerfälligen, schwankenden Gang.
    Der Mann stand mitten im Rosenhag. Er hatte ihr zwar den Rücken zugekehrt, aber Esme konnte sehen, was er tat. Er las ein Buch.
    Wie merkwürdig.
    Von einem belesenen Gärtner hatte Esme noch nie gehört. Im Gegenteil, Moses, ihr früherer Gärtner, hatte sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er von Buchgelehrsamkeit nicht das Geringste hielt. Dennoch schaute dieser Gärtner abwechselnd auf die Rosenstöcke und in sein Buch.
    »Entschuldigen Sie bitte«, begann Esme mit strenger Gutsherrinnenstimme. »Ich wollte nur nachschauen …«
    Sie brach ab.
    Seine Haut war gebräunt. Er trug keine feinen Kleider mehr, war nicht länger gepflegt und sorgfältig frisiert und mit jedem Zoll ein Marquis.
    Aber es konnte kein Zweifel bestehen, dass es sich um den Mann handelte, den seine Freunde als Bonnington und der Rest der Welt als Marquis Bonnington kannte.
    Und für Esme war er Sebastian.
    Ob Sebastians Freunde ihn ebenso rasch erkannt hätten wie sie, war fraglich. Er trug ein grobes Arbeitshemd, das am Hals offen stand, und eine derbe Lederschürze. Er wirkte kräftiger und lebendiger als je zuvor.
    Esme erkannte ihn mühelos. »Ich muss wohl unter Sinnestäuschungen leiden«, sagte sie leicht amüsiert, während sie ihn anstarrte wie eine Geistererscheinung.
    »Bitte verzeih, wenn ich dich erschreckt habe.«
    Als sie seine Stimme hörte, wich sämtliches Blut aus ihrem Kopf und vor ihren Augen drehte sich alles. Sie schwankte und wollte sich instinktiv festhalten. Ihre ausgestreckte Hand traf auf einen warmen menschlichen Körper. Sebastian war ihr entgegengekommen und fing sie in seinen Armen auf, barg sie an seiner Brust. Dann ließ er sich sanft mit ihr auf die schmiedeeiserne Bank sinken.
    Esme war noch nie in Ohnmacht gefallen. Auf diese Art Konflikte zu vermeiden lag nicht in ihrer Natur. Selbst in den peinlichsten Momenten ihrer enttäuschenden Ehe hatte sie keine bühnenreife Ohnmacht vortäuschen können.
    Aber Sebastian glaubte doch tatsächlich, dass sie in Ohnmacht gefallen war. Er tätschelte ihre Wange und gab sinnlose Befehle wie »Wach doch bitte auf!« von sich.
    Esme beschloss, dass es besser wäre, die Augen geschlossen zu halten. Was um Himmels willen hatte Sebastian in ihrem Rosenhag zu suchen? Sie musste unbedingt in Ruhe nachdenken, obwohl sie sich am liebsten in seine starken Arme geschmiegt hätte, um für einen Moment so zu tun, als wäre die Welt, in die sie ein vaterloses Kind setzen würde, kein kalter Ort.
    »Esme!« Sein Ton wurde drängender. Trottel.
    Als Esme die Augen öffnete, schwebte Sebastians Gesicht über ihr, ja, es senkte sich tiefer herab. Wollte er herausfinden, ob er immer noch so viel Macht über sie besaß wie einst? Der Anblick seiner leidenschaftlichen blauen Augen und des goldenen

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