Ein delikater Liebesbrief
Leib. Das Verlangen überflutete sie wie eine Woge. Verlangen nach ihm, nach Sebastian, ein Hunger, der in den sechs Monaten ihrer Trennung nur noch größer geworden war.
»Ich habe von dir geträumt«, sagte er mit vor Begierde brüchiger Stimme. Er löste sich von ihr. »Ich habe von dir geträumt, Esme, bis ich glaubte, den Verstand zu verlieren. Und ich bin zurückgekehrt, weil ich fand, die Rückkehr in die Wirklichkeit wäre besser, als noch einen einzigen Traum ertragen zu müssen.«
Seine Worte brachten sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
»Wir dürfen das nicht!«, keuchte Esme und fuhr so ungestüm zurück, dass sie fast gestolpert wäre. Sebastian fing sie auf.
»Warum nicht?«
Sie starrte ihn offenen Mundes an. »Was ist nur aus dir geworden, Sebastian Bonnington? Als du noch mit Gina verlobt warst, habe ich dich immer den Heiligen Willy genannt. Manchmal habe ich geglaubt, du würdest allein für die Augenblicke leben, wo du mich bei einer Indiskretion ertappen und mir die Leviten lesen konntest!«
»Das stimmt auch«, erwiderte er. »Denn damals hätte ich alles dafür gegeben, um nur mit dir reden zu können, Esme. Ich wollte sehen, wie die Röte in deine Wangen stieg, ich wollte, dass diese herrlichen Augen nur auf mich gerichtet waren und auf keinen anderen. Ich wollte nicht, dass du mit einem Einfaltspinsel wie Bernie Burdett flirtest. Du solltest mich und nur mich allein ansehen.«
»Aber du warst mit Gina verlobt.«
Er zuckte die Achseln. »Wir waren schon seit Jahren befreundet. Eine Vernunftehe schien mir die folgerichtige Fortsetzung dieser Freundschaft zu sein.«
Esme blitzte ihn wütend an. »Eine Vernunftehe ist töricht!«
» Du warst doch verheiratet«, hielt er ihr entgegen.
»Ja, es war eine Vernunftehe – deshalb weiß ich auch, wovon ich spreche.«
»Ich denke, Gina und ich wären freundlicher miteinander umgegangen als Miles und du. Denn ich liebe Gina von ganzem Herzen und habe enorme Achtung vor ihr.«
»Miles hat mich auch geliebt!«
Sebastian zog zweifelnd eine Braue hoch.
»Nun, immerhin hat er mich wirklich gerngehabt«, gab Esme zurück.
»Er hat aber keine Achtung vor dir gehabt.«
Sie wandte sich achselzuckend ab. »Wer hätte die auch haben können? Am Anfang unserer Ehe habe ich mich wie eine Dirne benommen … Aber ich habe Miles geliebt. Es stimmt, ich habe ihn nicht begehrt, aber heutzutage sind Liebesehen auch eher selten.«
»Du bist nie eine Dirne gewesen«, versicherte Sebastian ihr und schaute sie zärtlich an.
Esme sah in seine Augen, die so strahlend blau waren wie ein Sommerhimmel. »Ich möchte nicht, dass du dir falsche Vorstellungen von meinem früheren Leben machst, Sebastian, nur weil du im Exil ein romantisches Bild von mir entworfen hast. Du hast in deinem ganzen Leben nur mit einer einzigen Frau geschlafen, bist aber für mich nur einer unter mehreren Männern, auch wenn es zugegeben nicht ganz so furchtbar viele waren. Du weißt so gut wie ich, dass es auf der Welt nur vier Arten von Frauen gibt: die Jungfrau, die Ehefrau, die Witwe und die Hure. Und man kann sagen, dass ich die Rollen der letzten beiden glänzend gespielt habe.«
Er nahm ihr Gesicht in seine Hände. »Hast du es genossen, als du deinem Manne das erste Mal untreu warst?«
Esme schluckte hart, dann hob sie trotzig das Kinn. »Nein, aber ich habe es trotzdem getan. Und die nächsten Male haben mir sehr gefallen«, fügte sie herausfordernd hinzu.
»Wenn Miles in dein Bett zurückgekehrt wäre, wenn er sich ob deines skandalösen Gebarens bestürzt gezeigt hätte, wenn er den Wunsch geäußert hätte, dir Genuss zu verschaffen – wärst du dann zu anderen Männern gegangen?«
Einen Augenblick herrschte Schweigen.
Dann hob Esme den Kopf, Tränen in den Augen. »Ich wäre zu dir gegangen, Sebastian.«
Darauf sagte er nichts, nahm sie nur in seine Arme und hielt sie so fest, wie sie noch nie in ihrem Leben gehalten worden war. Er roch nach Apfelbäumen und Holzfeuer. Er drückte ihr Gesicht an seinen groben Kittel, den ein Marquis niemals getragen hätte, und Esme schmiegte sich eng an ihn.
Nach wenigen Sekunden hob er ihr Kinn an und küsste sie.
Esme musste wieder schlucken. »Ich muss gehen.«
Sebastian nickte. »Ich sage dies nicht, weil ich lüsterne Gedanken hege … aber wenn du mich suchst, kannst du mich jederzeit in der Gärtnerhütte am Ende des Apfelgartens finden.«
»Du lebst in einer Hütte? Du? «
Wieder nickte er. »Und es gefällt
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