Ein delikater Liebesbrief
dritte Hausmädchen seiner Eltern, verliebt hatte. Damals drückte er sich so lange in den Korridoren herum, bis er sie sah, und lebte nur für die Augenblicke, in denen sie mit einem gemurmelten »Verzeihung, Master Simon« an ihm vorbeiging.
Genauso erging es ihm jetzt. Langsam, damit es niemand merkte, rückte er seinen Stuhl näher an Henrietta heran. Als der erste Gang serviert wurde, hatte er es geschafft, sein Bein an ihres zu drücken. Nach ihrem schockierten Blick zog er das Bein fort, berührte jedoch einen Moment später ihren Arm.
Sie errötete erneut. Oh, sie spürte es gewiss auch. Ich reise morgen ab, dachte Darby unbekümmert. Ich reise ab und werde nicht zurückkehren.
Henrietta lächelte, wieder mit diesen ausdrucksstarken Augen, ein verheißungsvolles Lächeln. Jeder Blick, den Darby nach links warf, bestätigte ihm, dass er Henrietta Maclellan zu Recht für eine wunderschöne Frau hielt.
Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln, das er fast ironisch nennen würde. Doch dieser kaum merkliche Zug um ihre roten Lippen ließ seine Lenden so heiß pochen, wie es noch kein verführerisches Lächeln einer anderen Frau vermocht hatte.
28
Die Freuden einer guten Tat
Mrs Cable stellte erfreut fest, dass Lady Rawlings sie neben Rees Holland gesetzt hatte. Mr Holland war vermutlich der schändlichste Graf im gesamten Adelsstand, was bedeutete, dass Mrs Cable diese Begegnung jahrelang ausschlachten konnte. Abgesehen davon, dass sie dem armen Manne helfen konnte, die Irrtümer seines verfehlten Lebens einzusehen.
Mrs Cable wartete, bis die Suppe serviert war, bevor sie das Gespräch eröffnete. »Lord Godwin, welch eine Freude, Sie und Ihre liebe Frau vereint bei einer Festlichkeit zu sehen«, begann sie, im klaren Bewusstsein dessen, dass diese Einleitung ein wenig unbesonnen war. Doch wer Gottes Werk verrichten wollte, musste kühn sein. Nicht wie der Vikar Mr Fetcham, der liebenswürdig mit Lady Holkham plauderte, als gäbe es keine Sünder zu retten, obwohl er doch gerade hier von ihnen umringt war.
Rees Holland wandte sich Mrs Cable zu und schaute sie zum ersten Mal direkt an. Bislang hatte er sich recht ungehörig betragen, indem er ihre Anwesenheit völlig ignoriert hatte. Mr Holland besaß erschreckend schwarze Augen. Kein Wunder, dass alle Welt ihn als verdorben bezeichnete, denn seine kühnen Augenbrauen unterstrichen genau diesen Eindruck. »Darf ich Ihnen zu dem gleichen Umstand gratulieren, Mrs … Mrs …«
Er stockte, hatte offenkundig ihren Namen vergessen. Etwas anderes hatte Mrs Cable auch nicht erwartet.
»Ich bin Mrs Cable, Sir. Und Mr Cable begleitet mich zu jeder Feier«, teilte sie Rees Holland mit.
»Tapferer Mann«, brachte er mit affektiertem Tonfall hervor. »Ich staune immer wieder über den Mut, den die Menschen im Alltagsleben beweisen.« Damit wandte er den Blick ab und widmete sich wieder seiner Suppe.
Mrs Cable war einigermaßen sicher, dass sie beleidigt worden war. Entweder sie oder Mr Cable. »Es ist eine Sünde …«, begann sie ein wenig schrill, besann sich dann auf ihre Umgebung und senkte die Stimme. »Es ist eine Sünde, das eheliche Bett zu verlassen.«
Godwin musterte sie mit kühlem Blick. »Bett? Sie wünschen über Betten zu sprechen? Sie überraschen mich wirklich, Mrs Cable.«
Doch die anzüglichen Scherze von Sündern ließen Myrtle Cable kalt. »Paulus’ Brief an die Kolosser rät den Männern, ihre Frauen zu lieben«, verkündete sie.
»Und er gebietet auch, dass die Frauen sich ihren Männern unterordnen sollen«, versetzte Godwin. Er sah gelangweilt und verärgert aus, aber Mrs Cable achtete nicht darauf.
Selbst der Teufel zitiert aus der Heiligen Schrift, wenn es seinen Zwecken dienlich ist, sagte sie sich und sammelte ihre Kräfte für einen neuerlichen Angriff.
»Der Mann mag außer Hause zu arbeiten haben, doch am Abend kehrt er zu seiner Frau zurück. Psalm 104«, fauchte sie.
Hollands Suppenlöffel verharrte auf halbem Wege zum Mund. »Zu gerne würde ich mit Ihnen darüber diskutieren, Mrs Cable«, sagte er ironisch, »doch das geht nicht, wenn Sie den Text verändern. In Psalm 104 heißt es: Der Mensch geht aus an sein Werk, an seine Arbeit bis zum Abend . Über seine Frau steht dort nichts.«
» Sie kennen die Psalmen?«, fragte Mrs Cable ungläubig und musterte ihren Tischnachbarn ein wenig genauer.
Rees Holland entsprach genau dem Typus des indolenten verderbten Aristokraten, auch wenn er weniger elegant gekleidet war als in
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