Ein delikater Liebesbrief
Sie ihn bloß nicht zur Ruhe kommen lassen. Sie müssen Ihre Ansichten – und Ihre Pläne – ungefähr einmal in der Woche ändern. Denn Sie wollen doch nicht, dass sich Gewohnheiten einschleichen …«
Henrietta lag in den Nächten wach und dachte daran, wie erschüttert Millicent ausgesehen hatte, als sie erfuhr, dass ihre Stieftochter die Ungeheuerlichkeit begangen hatte, einen Mann ohne Ehegelübde in ihr Bett zu lassen.
Viel hatte ihre Stiefmutter seitdem nicht dazu gesagt, auf der Kutschfahrt nach Hause lediglich: »Du weißt sicherlich, wie enttäuscht ich von dir bin, Henrietta. Wir brauchen über dieses Thema nicht mehr zu sprechen.«
Henrietta wälzte sich ruhelos im Bett hin und her. Sie dachte daran, dass sie ihrer Stiefmutter die Wahrheit sagen musste. Doch Millicents Vorstellungen von Moral waren unumstößlich. Henrietta konnte sich ausrechnen, dass ihre Stiefmutter es für ihre Pflicht halten würde, Darby davon zu unterrichten, dass Esme den Brief mit Absicht offenbart hatte. Darby zu gestehen, dass sie, Henrietta, den Brief geschrieben hatte, war eine Sache, ihm hingegen zu erzählen, dass sie Teil eines Komplotts war, um ihn zu einem Antrag zu zwingen, eine ganz andere. Bislang glaubte er, dass der Brief lediglich mit einem anderen verwechselt worden wäre, den Henrietta ihm wegen der Einstellung eines Kindermädchens geschickt hatte.
War es denn so schrecklich, eine Ehe mit einer Täuschung zu beginnen? Was aber, wenn sie ihm die Wahrheit gestand und er sie als intrigantes Weib verurteilte und von seinem Eheversprechen zurücktrat?
Das Problem war, dass sie Darby unbedingt heiraten wollte. Unbedingt. Mit jeder Faser ihres Körpers, und mit Josie und Anabel hatte das gar nicht so viel zu tun. Dieser eisigen Wahrheit musste sie mitten in der Nacht ins Gesicht sehen. Sie brachte einen Mann mittels eines Komplotts dazu, sie zu heiraten, weil sie ihn begehrte – und diese Erkenntnis über sich selbst war verachtenswert.
Er begehrt mich, dachte sie, doch dies war nur ein schwacher Trost. Darby – der Meinungsführer der feinen Gesellschaft in Modefragen – würde niemals eine Landpomeranze heiraten, wenn er nicht dazu gezwungen war. Wenn er doch nur nicht so reich wäre! Henrietta hatte den Plan nicht unmoralisch gefunden, solange sie und Esme noch glaubten, Darby wäre verarmt und auf ihr Erbe angewiesen. Sie hatte sogar recht selbstgefällig gedacht, dass er heiraten müsste, um Josie und Anabel eine Mitgift zu verschaffen. Aber Darby brauchte ihr Erbe gar nicht. Er brauchte sie nicht.
Sie hatte ein Gespräch zwischen Darby und seinem Freund Rees Holland belauscht, das ihre Einschätzung bestätigte. Es war nach Esmes Dinner gewesen, als alle sich in ihre Mäntel hüllten und zur Heimfahrt fertig machten. Sie hatte Esme gerade einen Abschiedskuss gegeben, als Hollands dröhnende Stimme aus der Bibliothek drang: »Warum in Gottes Namen solltest du diese Frau heiraten, wenn du sie noch gar nicht besprungen hast?« Darbys Antwort war nicht zu hören gewesen.
Doch der Earl hatte sein Pulver noch nicht verschossen. »Du musst es nicht deshalb tun, nur weil die Frau ein verdammtes Vermögen besitzt. Ich könnte für Josies Mitgift aufkommen, und für die der Kleinen auch.«
Henrietta hielt mitten im Überstreifen ihrer Handschuhe inne. Esme zog die Augenbrauen hoch, lauschte aber ebenfalls schweigend.
»Den Teufel wirst du tun.« Darbys Stimme klang in Henriettas Ohren ruhig und desinteressiert.
»Aber ich könnte es tun«, gab Rees zurück. »Hab mehr als genug Geld übrig, klar? Und da meine Frau mir wohl kaum einen Stammhalter schenken wird …«
»Die Mitgift der Mädchen stellt kein Problem dar.«
»Aber Rawlings’ Besitz unterliegt doch einem Fideikommiss?«
»Zweifellos.«
»Dann … kannst du es selber aufbringen?«
»Hängst auch du der irrigen Meinung an, dass ich mich ausschließlich auf gute Kleidung verstehe, Rees?« Darbys Stimme klang sanft, aber auch leicht gereizt. Henrietta konnte sich nur zu gut vorstellen, welcher Ausdruck in seinen Augen stand.
»Sei kein Esel«, versetzte Rees. »Ich glaube, du bist immer noch ganz genau derselbe wie damals, als wir beide noch kurze Hosen trugen. Ein herausgeputzter Dummkopf mit einem hübschen Gesicht und einer sauberen Art, den Degen zu führen. Jetzt sag nicht, dass du dich an der Börse herumtreibst. Davon hätte ich nämlich gehört.«
»Die feinen Spitzenstoffe, Rees. Die Spitzen.«
»Ich dachte, das mit den Spitzen wäre
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