Ein delikater Liebesbrief
nicht mehr als ein Zeitvertreib. Und importierst du nicht die meisten aus Frankreich? Muss wohl zurzeit unmöglich sein.«
»Da der Krieg den Nachschub aus Frankreich abgeschnitten hat, bin ich zum Hauptimporteur belgischer Spitzen geworden. In den letzten fünf Jahren habe ich mein Geschäft ausgedehnt. Mir gehören Madame Franchon’s auf der Bond Street, Madame de Lac’s in Lumley …«
» Franchon’s ?«, fiel ihm sein Freund ins Wort. »Dir gehört dieses Damenwäschegeschäft? Hast deine Spitzenmanschetten wohl in ein Vermögen verwandelt, he?«
»Ganz genau.«
»Verdammt, das verflucht viele Geld, das Frauen für Kleidung ausgeben. Du musst ja inzwischen reicher sein als ich. Du, der Inbegriff der Eleganz, versuchst dich in den Niederungen des Handels.«
»Bei der Entscheidung, wen ich heirate, wird Geld gewiss keine Rolle spielen«, sagte Darby. Dann herrschte Stille in der Bibliothek.
Esme hatte Henrietta mit lachenden Augen angesehen. »Rees würde gar noch einen Mord begehen, um Darby vor sich selbst zu retten«, flüsterte sie. »Wie dieser Mann die Ehe hasst!«
»Ich glaube nicht, dass Darby dem Thema entschieden gewogener ist«, murmelte Henrietta.
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, erwiderte Esme.
Doch Henrietta wusste um die Wahrheit. Darby machte mit dieser Heirat ein schlechtes Geschäft. Keine Kinder. Und auch kein Geld, denn er brauchte es nicht.
Ungefähr vierzehnmal am Tag beschloss Henrietta, Darby zu schreiben und die Verlobung zu lösen, falls man sie überhaupt als solche bezeichnen konnte.
Und vierzehnmal besann sie sich wieder, zeigte der Zukunft gewissermaßen die Zähne und dachte: Ich werde mir nehmen , was ich will. Es ist schon schwer genug, dass ich keine Kinder bekommen kann. Ich verdiene Kinder wie Josie und Anabel. Sie sehnte sich so schmerzlich nach den Kleinen, dass sie es in ihren Knochen spürte. Die Vorstellung, wie sie Josie das Lesen beibrachte oder Anabel ein Schlaflied sang, ließ sich einfach nicht vertreiben. Sie brauchen mich, redete sie sich ein.
Das war doch ein tröstlicher Gedanke! Josie und Anabel brauchten in der Tat eine Mutter. Und Henrietta war recht sicher, dass keine Frau die beiden so lieben konnte wie sie, denn jede andere Frau würde naturgemäß eigene Kinder bekommen und dann womöglich Josie und Anabel vernachlässigen oder die eigenen Kinder vorziehen.
Die bloße Vorstellung ließ Henrietta schaudern. Dass sie das Glück gehabt hatte, unter der Obhut einer liebenden Stiefmutter aufzuwachsen, machte sie nicht blind dafür, dass es andere Familienverhältnisse gab.
Gewissenhaft ging sie jeden Tag zu Esme, suchte die Kinderstube auf und spielte mit den Mädchen. Anabel war ein kleiner Engel, der stets mit ausgestreckten Ärmchen auf sie zuwackelte und in den Arm genommen werden wollte. Josie war zwar selbst für das wohlgesonnenste Auge kein Engel, doch gleichwohl ein interessanter Charakter. Sie unterteilte ihre Tage gerecht zwischen Wutanfällen und dem Spiel mit den Zinnsoldaten, die einst Esmes Bruder gehört hatten.
Nun brauchten Josie und Anabel zwar eine Mutter, doch Henrietta begann allmählich an ihren mütterlichen Fähigkeiten zu zweifeln. Natürlich hatte sie Josie nicht noch einmal mit Wasser übergossen, war aber des Öfteren schwer in Versuchung geraten. Und das war doch einfach schrecklich. Ob Josie es mit einer anderen Mutter nicht besser treffen würde?
Esmes Kinderfrau verstand es auf unnachahmliche Weise, Josie gelassen die Schulter zu tätscheln, wenn sie einen ihrer Wutanfälle bekam. Dann pflegte sie zu sagen: »Ich rede erst wieder mit dir, wenn du dich ein bisschen beruhigt hast, mein Entchen.«
Henrietta versuchte diese ruhige Art zu imitieren. Doch jedes Mal, wenn Josie in ihre Standardklage »Ich bin ein armes, mutterloses Waisenkind« ausbrach, spürte sie, wie sie die Zähne zusammenbiss. Was sollte sie tun, wenn sich am Ende herausstellte, dass sie Josie eine schlechte Mutter war?
Hektisch blätterte sie in Bartholomew Batts Ratgeber, fand seine Ratschläge in Bezug auf Josies Wutanfälle jedoch entmutigend, ja nutzlos. Wen interessierte es, zu erfahren, dass Mr Batt der Ansicht war, Ammen hätten einen Hang zum Alkohol und würden auf diesem Wege die Sucht auf die ihnen anvertrauten Kinder übertragen? Sie stillte Josie ja nicht, doch manchmal rief dieses Kind in ihr den Wunsch zu trinken hervor.
Josie liebte es jedoch, von Henrietta Märchen erzählt zu bekommen. Vielleicht mussten sie sich auch
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