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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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Zigarette, stieß den Rauch zwischen den Zähnen hindurch und sagte: »Klar, warum nicht.«
    ***
    »Keep your feet on the ground and keep reaching for the stars.« Die letzten Worte von Casey Kasem, mit welchen er seit Jahrzehnten die »American Top 40« regelmäßig beschloss, gingen in den ersten Takten der Bee-Gees-Nummer »Shape of Things to Come« unter, und Chris Mahler setzte den Blinker. Beschwingt steuerte sie den Wagen in Richtung Busbahnhof Huckelriede.
    Wie sehr sie diesen Satz von Kasem liebte. Und wie oft sie ihn wohl in ihrem Leben gehört hatte? Keep your feet on the ground and keep reaching for the stars. Sicher tausendmal, seit sie mit vierzehn ihr haselnussbraunes Grundig-Kofferradio bekommen hatte. Ein Geburtstagsgeschenk ihres Vaters, gekauft in der Elektronikabteilung bei Hertie. Damals hörte sie die warme, sympathische Stimme des Amerikaners das erste Mal. Ja, sie stand wieder fest auf dem Boden. Und, ja, sie hatte große Lust, nach den Sternen zu greifen!
    »Schalten Sie doch bitte mal RB 1 ein«, erklang vom Rücksitz die Stimme ihres Fahrgastes. Kurz zuvor hatte sie den hageren, schätzungsweise 35-jährigen Mann in der Charlottenstraße eingeladen. Typ Versicherungsvertreter: dunkles Sportsakko, Brille,kantiges Kinn, Oberlippenbärtchen, verkniffener Blick, billiges Rasierwasser.
    »Muss das sein?« Widerwillig suchte sie die schwach erleuchtete UKW-Frequenzskala so lange ab, bis aus dem Durcheinander der Stimm- und Tonfetzen der brummige Bass des RB-1-»Rundschau«-Moderators Rainer Gausepohl erklang.
    »Die beiden Geiselnehmer haben den Bus der Linie 53 am Busbahnhof Huckelriede seit nunmehr 36 Minuten in ihrer Gewalt. An Bord befinden sich unbestätigten Angaben zufolge 27 Personen, darunter zwei Kinder. Über die genauen Forderungen der Männer herrscht im Moment noch Unklarheit. Und die Polizei lehnt Verhandlungen mit ihnen zum jetzigen Zeitpunkt ab. Wir schalten jetzt raus zu unserem Reporter Christian Siegel in Huckelriede. Christian, was kannst du zur momentanen Lage vor Ort sagen? Wie reagiert die Polizei?« Die aufgeregte Stimme des Reporters erklang.
    »Sie wollen doch wohl nicht etwa da hin?«, sagte Chris, und suchte den Blick ihres Gastes im Rückspiegel.
    »Doch«, antwortete der knapp und drehte die Scheibe herunter, so dass ihr augenblicklich die trockene, heiße Nachtluft um die Schultern wirbelte.
    Im schnellen Wechsel flogen draußen die Leuchtreklamen der Bars und Geschäfte vorbei. Chris hatte das Gefühl, als lenke sie den Wagen durch die nächtliche Sahara, vorbei an grell beleuchteten Oasen. In der Ferne zerschnitten die Landstrahler einer Passagiermaschine, die sich im Anflug auf den City Airport befand, das tintenblaue Firmament.
    »Also ich weiß nicht«, sagte sie mehr zu sich als zu ihrem Fahrgast und drosselte unwillkürlich das Gas.
    »… hat vor wenigen Minuten Schüsse auf ein Wohnhaus abgefeuert«, sagte der Mann im Radio. Von einer Sekunde zur anderen hatte sie das Gefühl, aus der Hitze der Sahara in ein subpolares Tief geraten zu sein.
    »Und da wollen Sie wirklich hin? Was wollen Sie denn da?«, sagte sie, sah kurz in den Seitenspiegel und zog den Wagen in den von der Friedrich-Ebert-Straße links abzweigenden Buntentorsteinweg.
    »Ich bin Journalist«, kam es trocken von der Rückbank. »DPA , wenn Sie wissen, was das ist.«
    Für wie blöd halten Sie mich eigentlich?, hätte sie beinahe gesagt, sagte es natürlich nicht und fixierte stattdessen das reglose Gesicht des Mannes im Rückspiegel. Er sah stur geradeaus und demonstrierte eine aufreizende Gelassenheit, als sei die Tatsache, dass da draußen ein Bus voller Geiseln stand, das Normalste von der Welt.
    »Und was haben Sie vor? Etwa die Gangster interviewen?«, sagte sie, folgte dem Buntensteintorweg und bog nach 50 Metern rechts in den Kirchweg ab.
    »Warum nicht? Wenn die Gelegenheit dazu besteht, gerne!«
    Es hatte so gut für sie begonnen. Erst die Begegnung mit diesem Adam im Dom. Im Anschluss die Ferntour in die Heide, die auf einen Schlag zwei Hunderter in ihre Kasse spülte. Dann aber kam die Nachricht vom Sturz ihres Vaters, und von da an ging es mit dem Tag stetig bergab. Und jetzt diese blöde Fuhre nach Huckelriede, wo Schwerverbrecher wild in der Gegend herumballerten. Sobald sie den Typ los war, würde sie Wanda anrufen und sich nach ihrem Vater erkundigen.
    Höchstwahrscheinlich hatte die dumme Kuh den Notruf beim Arzt bereits mit dem Auflegen des Hörers vergessen und kroch

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