Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
Begegnung im Dom verfolgten. Er sah ihr blasses, von schulterlangendunklen Haaren umrahmtes Gesicht vor sich. Ob beide wohl inzwischen mitbekommen hatten, was hier los war?
Adam sah nach draußen, wo die Fotografen sich in sicherer Entfernung aufbauten und ihre Kameras auf den Bus richteten. Ängstlich hinter einer Mülltonne verschanzt stand Alfred Borgward. Doch wo war die Polizei? Wieso taten die nichts? Das Krächzen eines Funkgeräts drang schwach zu ihnen herein. Keine 50 Meter von ihnen entfernt leitete ein Polizist den Verkehr mit einer Kelle um.
Der blonde Mann mit der Kamera und dem Ohrstecker, der sich eben noch mit dem Geiselnehmer unterhalten hatte, war zu seinen Kollegen gelaufen und wies nun mit ausgestrecktem Arm zu ihnen herüber.
Plötzlich sprang der Gangster aus dem Bus, riss den Colt hoch und brüllte: »Ihr verdammten Schweine!« Dann feuerte er ein paarmal auf eines der oberen Fenster des schräg gegenüberliegenden Wohnhauses und rief: »Scheißbulle! Komm raus da!« Anschließend richtete er die Waffe kurz auf die Journalisten, die das Ganze im Schutz der parkenden Autos beobachteten, drehte sich fluchend um und kam wieder in den Bus.
Adam konnte den Schweiß des Mannes riechen, der vor ihm auf der obersten Trittstufe stand und hinüber zu den Journalisten spähte. Jede seiner Bewegungen wirkte so, als koste es ihn inzwischen große Anstrengung, den Colt zu halten und den Überblick nicht zu verlieren. Zugleich machte er auf Adam den Eindruck eines Menschen, der trotz seiner Müdigkeit die Dinge zu Ende brachte, die er begonnen hatte. Er steckte sich eine Zigarette an der Zigarette an und inhalierte hastig. Dabei konnte Adam die verschlungenen Tätowierungen an seinen Händen und am Arm sehen, die seine Haut musterten wie bei einer exotischen Schlange.
Im Bus herrschte eine Atmosphäre aus lautloser Anspannung und Ungeduld. Genau wie damals bei der Beerdigung seinerMutter. Schweigend hatten sie in der kleinen, zugigen Friedhofskapelle des Widok cmentarza auf den kalten, unbequemen Holzbänken gesessen und eine halbe Ewigkeit darauf gewartet, dass sich die Tür der angrenzenden Sakristei öffnete und der Priester endlich mit der Totenfeier begann. Die Kleider der wenigen anwesenden Trauergäste hatten den schweren, betäubenden Geruch des Regens, der seit Stunden auf das offene Grab fiel, in dem man in Kürze den Sarg seiner Mutter versenken würde, mit hereingebracht und den nachlässig verputzten Raum damit erfüllt.
Die Zeremonie war zur Überraschung aller bereits nach einer Viertelstunde vorüber gewesen, und als sie hinterher dem Priester, einem kleinen, linkisch wirkenden Mann, der sie über die Ränder seiner verbogenen Schildpattbrille hinweg teilnahmslos angesehen hatte, die Hand gaben, um sich zu bedanken, hatte Adam dessen schweren, alkoholisierten Atem gerochen. Als sie dann noch in ihrer Srodulaer Wohnung beieinandersaßen und bei ein paar Gläsern anekdotenreich der Toten gedachten, hatte er, der die Totenfeier noch mit spürbarer Teilnahmslosigkeit abgehalten hatte, sich plötzlich, nachdem er ein halbvolles Wasserglas Ś liwowica hinuntergestürzt hatte, als so redselig erwiesen, dass Adam ihm am liebsten auf der Stelle eigenhändig das Maul gestopft hätte.
Seit er von zu Hause fort war, wo er bis zuletzt unter Karolys Schutz stand, entwickelte Adam vollkommen neue Instinkte. So glaubte er inzwischen, tatsächlich riechen zu können, wenn ihm jemand Böses wollte oder wenn Gefahr drohte. Seine Fluchtinstinkte hatten sich verfeinert. Er schlief nachts weniger tief, war sensibler für Geräusche. Wo er früher rasch und ohne zu überlegen Freundschaften schloss, hielt er sich heute zurück. Zu seinem wichtigsten Gesprächspartner war seine innere Stimme geworden. Und die sagte ihm: »Vorsicht, Adam! Die Typen sind eiskalt.«
Mit Blick auf den Jungen im hinteren Busteil, der schützendseinen Arm um das dunkelhaarige Mädchen gelegt hatte, hätte er am liebsten zu dem Gangster gesagt: »Ihr wollt doch nicht das Leben der beiden Kinder da hinten aufs Spiel setzen, oder?« Doch als könnte er seine Gedanken lesen, sah der ihn kalt an. Und Adam begriff, dass sie genau das vorhatten.
»Ich hab die Forderungen überbracht«, erklang die Stimme des Mannes mit dem Ohrstecker, der vermutlich auch zu den Fotografen gehörte, draußen vor dem Bus. Geradezu kindlich lächelte er den Gangster an. »Kann ich jetzt ein paar Fotos von euch im Bus machen?«
Der Gangster zog an seiner
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