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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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ausgestrecktem Arm und Blick auf den olivgrünen BMW direkt vor ihnen: »Das gibt’s doch nicht, das sind sie! Hier, der da! Direkt vor uns!«
    Andresen checkte das Kennzeichen, ein gelbes niederländisches, HR 20 TN, und sagte: »O Mann, tatsächlich!« Er informierte die nachfolgenden Kollegen. Justitia hatte kurz ihre Augenbinde abgenommen und ausnahmsweise mal für die Guten Partei ergriffen: Sie präsentierte ihnen das Objekt ihrer Begierde auf dem Servierteller.
    »Wir haben das Zielfahrzeug soeben Ehrenstraße, Ecke Breite Straße geortet und bleiben dran«, gab Andresen per Funkspruch an die Kölner Kollegen durch. »Bitten um Verstärkung.«
    »Wir haben wirklich mehr Glück als Verstand!«, sagte Kirchner und fühlte, wie sich seine Energien in der Mitte seines Brustkorbs zu sammeln begannen. Seine Hände wurden kalt und hart, in den Fingerspitzen fühlte er seinen Puls, und die Sehnen in seinem Nacken spannten sich an. Beim Sprechen rollte er den Kopf mit halbgeschlossenen Augen wie ein Boxer, der sich für einen Kampf locker macht. Er war Käpt’n Ahab auf der Jagd nach dem Weißen Wal.
    Im Schritttempo rollten sie durch die Breite Straße weiter in Richtung Dom. Mit Blick auf das Stadtanzeiger-Gebäude kamensie kurz zum Stehen. Sofort drängte sich etwa einhundert Meter weiter vorn ein Pulk von Presseleuten und Schaulustigen um den BMW und brachte ihn damit endgültig zum Stehen. Zahllose Richtmikrophone pendelten über dem Pulk hin und her. Vor den Cafés stiegen die Besucher auf die Stühle, um eine bessere Sicht auf den Geiselwagen zu haben. Aus den oberen Fenstern der umliegenden Häuser gafften Leute herunter.
    Kirchner spähte hinüber, und kurz war ihm, als schüttele sich die Menschentraube, die sich um den BMW gebildet hatte, wie ein riesiger, dreckiger, am Boden liegender Hund. Dazwischen konnte er Fernsehkameras ausmachen, die auf und ab ruckten. Aufzuckende Blitzlichter.
    Er wies Andresen an, nach einer Haltemöglichkeit Ausschau zu halten. Genau in dem Moment kam ein Funkspruch der Einsatzzentrale in Recklinghausen. Rainer Fritsche, der die operative Leitung hatte, meldete sich höchstpersönlich zu Wort. Kirchner verachtete den Mann seit ihrer ersten Begegnung in der Markgrafenstraße. Und diese Verachtung beruhte auf Gegenseitigkeit.
    Der hagere, blasshäutige Brillenträger Fritsche hatte an der Universität Bern Kriminologie studiert und ließ keine Gelegenheit aus, seinen dort erworbenen Titel »Master of Advanced Studies in Criminology« zu erwähnen. Während des Gesprächs warf er mit Begriffspaaren wie »Labeling Approach« und »ubiquitärer Kriminalität« um sich und zitierte ständig ein Buch mit dem Titel »Verderbnis und Entartung« eines gewissen Peter Becker, »eine grandiose Geschichte der Kriminologie des 19. Jahrhunderts als Diskurs und Praxis«, die ihm, so Fritsche damals übertrieben, endgültig alle Illusionen über das Wesen des Menschen geraubt hätte.
    Kirchner hatte nur einmal in das teigige, blasse und von zwei kleinen, immerzu unruhig hinter den Brillengläsern hin und her springenden Fischaugen dominierte Gesicht des Mannes blicken müssen, um zu wissen, dass ihn nicht das Geringste mit diesemAktenfresser verband. Er war ein Mann der Praxis, und Leute wie Fritsche konnten ihm gestohlen bleiben. Doch die Tatsache, dass er ihn in Gladbeck vor aller Augen gedemütigt hatte, indem er ihm befahl, sich seine Dienstuniform überzuziehen, um für die Journalisten freien Zugang zur Bank zu schaffen, war seinen Gefühlen noch immer beigemischt wie ein Bitterstoff, der ihm permanent auf der Zunge lag und alles vergiftete.
    Hinterher, wieder in seinem Büro, hatte er sich vor seinen Leuten aufgebaut, hatte sich von Andresen dessen Brille geben lassen, sie aufgesetzt und Fritsche mit verstellter Stimme so treffend nachgeahmt, dass alle in schallendes Gelächter ausgebrochen waren. Auf dem Höhepunkt seiner schauspielerischen Darbietung war plötzlich die Tür aufgegangen, und Fritsche hatte im Raum gestanden. In Sekundenschnelle hatte er die Situation erfasst.
    »An alle Kollegen vor Ort«, fiepte Fritsches fadendünne Stimme aus dem Lautsprecher. »Abstand halten zu den Zielpersonen! Und kein Zugriff, ich wiederhole: kein Zugriff!«
    Andresen blickte Kirchner fragend an. »Hä? Was soll das denn jetzt?« Dann drehte er sich zu Landau um, doch der zuckte nur wortlos mit den Schultern. Kurz darauf klingelte das Funktelefon. Kirchner nahm ab und hörte Fritsche sagen: »Das

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