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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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kämpfte wieder mit den Tränen. »Gott sei Dank!«
    »Hier«, sagte der Vater plötzlich. Und dann sah sie durch den wässrigen Schleier vor ihren Augen, wie er ganz langsam die linke, eben noch zur Faust geschlossen Hand anhob und ihr hinstreckte. Dabei öffnete sie sich wie eine Blüte im Zeitraffer. Zum Vorschein kam eine breiig gewordene, als solche kaum noch erkennbare Macadamianuss. »Die ist für dich«, sagte er.
    Sie griff danach und blickte irritiert auf das matschige Gebilde in ihrer Hand. Drehte und wendete es im schräg einfallenden Licht. Dann sah sie auf die Hand ihres Vaters, an der Reste der bräunlichen Masse klebten. Und lächelte.
    Sie war nicht mehr da draußen, wo ihr altes Leben innerhalb von Sekunden genauso in sich zusammengefallen war wie die zerschossene Windschutzscheibe. Sie war nicht länger Teil dieses ganzen Irrsinns. Sie war nach Hause gekommen. War in Sicherheit. Endlich.
    ***
    Der Typ mit der Fernsehkamera kam immer näher, am Ende war er kaum mehr als eine Armlänge von ihm entfernt. Ein Typ mit langen, strähnigen Haaren. Die Kamera saß auf seiner Schulter wie ein Granatwerfer.
    »Nimm dat verdammte Scheißding aus meinem Gesicht, sonst knallt et«, sagte Rösner und richtete seinen schweren schwarzen Colt auf den Journalisten. Sofort wich der zurück, hatte aber schon im nächsten Moment seine Kamera wieder im Anschlag.
    »Aasgeier«, rief Rösner stolz. Es mochten inzwischen dreißig oder vierzig Journalisten sein, die sich um den Wagen drängten. Dazu all die Gaffer. Sie sahen aus wie Leute, die bei einer Armenspeisung anstanden. Mit hungrigen, aufgerissenen Mäulern. Und mit Augen, in denen die Gier loderte.
    »Als ob et wat umsonst gäb«, erwiderte Degowski und angelte mit der freien Hand nach seinen Zigaretten, die in der Brusttasche seines durchgeschwitzten Hemdes steckten. Mit der anderen drückte er Silke Bischoff den Colt an den Hals.
    Einer schrie seinen Namen: »Hey, Rösner! Hierher!« Ein anderer streckte ihm eine Schachtel Zigaretten hin: »Hier, nimm!«, bloß damit er sie ansah und sie ihre Fotos schießen konnten. Die Menge aus Journalisten, Reportern und Fernsehleuten umringte sie immer enger. Um die Wagentüren hatte sich eine Mauer aus Leibern gebildet. Eine Hand berührte ihn, als sei er der Messias, Leute schrien, riefen immer wieder aufgeregt: »Hey, hier, Rösner! Hier!«
    Arme und Ellbogen stießen gegeneinander, schoben ihm Mikrophone hin. Diese Blicke in ihre Gesichter. Im nächsten Moment tauchte eine weitere Fernsehkamera im Fensterausschnitt auf, und eine Stimme rief: »Wie lange wollt ihr das noch weitermachen?« Dann hörte er ein Geräusch, bamm, und die Kamera fiel zu Boden. »Scheiße noch mal!«, brüllte dieselbe Stimme.
    Rösner sah an Marion vorbei, rüber auf die andere Seite. Dort bot sich ihm das gleiche Bild. Kämpfende, schwitzende Leiber,die sich gegeneinanderdrängten. Rauchschwaden. Blitzlichter, Mikrophone, das nervöse Zischeln von Power-Windern. Er sah, wie sie ihre Lippen bewegten, wie ausgehungerte Fische hinter einer Glasscheibe. Doch er verstand nichts, weil alle wild durcheinanderredeten, gestikulierten wie Taubstumme.
    »Hey, Rösner, warum habt ihr den Jungen erschossen?«, rief einer, und ein anderer: »Glauben Sie, dass Sie durchkommen werden?« Jedes Mal, wenn er hinsah, stach ihm ein Blitzlicht ins Auge, und es wurde kurz stockfinster. »Wie war das in Bremen, Herr Rösner? Wann kommen die Geiseln frei? Fordern Sie noch mehr Lösegeld? Haben Sie Angst, zu sterben?«
    Diese Maden nannten ihn Herr Rösner. »Haste dat gehört, Marion?«, rief er, »Herr Rösner. Ich lach mich tot.« Ja, sie waren wie Maden und Fliegen, die ein totes Tier gefunden hatten, auf dem sie herumkrochen und in dem sie herumwühlten. Sie saßen ihm direkt auf der Haut. Absolut irre! Und dann drang aus dem Gewühl eine klar vernehmbare Stimme an sein Ohr, die rief: »Tagesschau. Können Sie mal schildern, was gestern in Bremen passiert ist?« Gleichzeitig wurde ihm durchs offene Fenster ein blaues Mikrophon hingestreckt, auf dem in weißen Buchstaben »NDR« stand. Daneben ein Kameramann, der nickte und lächelte. Dann richtete er seine Kamera auf ihn.
    Er hatte die Frage klar und deutlich verstanden und sagte schließlich: »Da war dieser ganze Auflauf da, Leute, Neugierige und die ganze Polizei. Und dann hab ich gewartet, dass endlich einer kommt, mit dem man verhandeln kann. Der Journalist hat gesagt, er will vermitteln, und ist

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