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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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reden zu müssen. Oder er hat es verdrängt. Kann doch sein.«
    »Das glaube ich nicht«, rief Brigitte. »Das hätte er nie getan! Niemals!« Sie legte die Kopien vorsichtig auf den Tisch. »Ich muss hier raus, sonst werd ich noch verrückt«, sagte sie leise und stand auf. Sie verließ die Küche und war keine fünf Minuten später wieder da. Sie trug Jeans, Turnschuhe und Martins abgewetzte, khakifarbene Tamrac-Fotoweste und auf dem Kopf sein altes New-York-Mets-Basecap, unter das sie ihr Haar gestopft hatte. Mit kämpferisch in die Hüften gestemmten Fäusten sah sie Helga an und sagte: »Los, lass uns gehen!«
    ***
    Bertram saß auf der Kante seines Stuhls, wippte nervös mit den Beinen und hatte die Ellbogen auf die Tischplatte gestützt. Über das von Sylvia zusammengestellte Dossier gebeugt, versuchte er, sich möglichst rasch ein Bild über die aktuelle Lage zu verschaffen. Denn genau genommen war er, was die Geiselgeschichte betraf, trotz der paar Zwischenmeldungen, die er aufgeschnappt hatte, bei null. Er überflog die Tickermeldungen, behielt dabei aber ständig die an der Wand hängenden TV-Bildschirme im Auge, über welche bei ARD und ZDF die Teletexte flimmerten, und telefonierte ein bisschen herum.
    Er wunderte sich kurz, weshalb Maibach ausgerechnet ihn mit dem »Aufmacher« für die Mittagssendung betraut hatte, denn tatsächlich schlichen genügend Alphatiere in der Redaktion herum, die nur darauf warteten, diesen arroganten Schnöseln von ARD und ZDF zu zeigen, wo der Hammer hing.
    Maibach wollte eine junge, frische Perspektive auf die Geschichte haben, und die würde er ihm liefern. Wahrscheinlich erinnerte sich Maibach an seinen Beitrag über das Eifersuchtsdrama in Sülz, das tödlich geendet hatte, den er nach seiner Ausstrahlung in der Sendekritik überschwänglich als ein Beispiel für engagierten Neo-Journalismus gelobt hatte.
    Maibach hatte in Bezug auf seinen Vierminüter tatsächlich von Neo-Journalismus gesprochen. So, als hätte er mit seinem Stückchen den TV-Journalismus neu erfunden. Das war lächerlich. Und alle im Raum wussten das. Sie hatten sich damals kurz fragend angesehen und gedacht: Wie Neo? Denn da war doch mal was? Filme von Visconti, Rossellini und De Sica.
    Maibach hatte seine Position damals zwar für den Moment gestärkt, doch auch Bertram hatte das Gefasel mit Befremden zur Kenntnis genommen.
    Bertram rief die Auskunft an und ließ sich zwei Nummern geben. Kurz darauf klingelte irgendwo in Gladbeck ein Telefon. Nach dem siebten Läuten wurde sein Anklopfen erhört, es wurdeabgenommen, und eine Stimme sagte: »Das Einwohnermeldeamt der Stadt Gladbeck, Sie sprechen mit Simone Seifert, was kann ich für Sie tun?«
    Sein Puls schnellte in die Höhe. Allein schon der Klang des Wortes »Gladbeck« zauberte ihm eine Gänsehaut auf die Oberarme. Jetzt war er dran! Hatte Witterung aufgenommen.
    Mit Hilfe von Fräulein Seifert konnte er Hans-Jürgen Rösners Herkommen auf die Schnelle so weit ausleuchten, dass nach einer weiteren Stunde und einem guten Dutzend heuchlerisch geführter Telefonate mit Gladbecker Polizeidienststellen, der Justizvollzugsanstalt Werl sowie Pressekollegen in Essen, die Festnetznummer von Rösners Schwester auf seinem Notizblock stand. Und die, dessen war sich Bertram plötzlich zu einhundert Prozent sicher, war der Schlüssel zu einer mit erstklassigen Hintergrundinformationen gespickten Geschichte, die Maibach vom Hocker hauen würde.
    Er registrierte das gleiche erregende Bizzeln im Anus, das ihn durchrieselte, wenn er kurz davor war, in eine Frau einzudringen. Er glühte, fühlte sich regelrecht beschickert von der eigenen Größe und Bedeutung. Ja, er wusste, wie man die Stecknadel im Heuhaufen fand. Er war eben ein echter Spürhund. Und mit der Story, die er da gerade an Land zog, würde er sich dauerhaft einen Platz in Maibachs Mannschaft sichern. Der Geschichte eines von Anfang an ungeliebten Kindes, das zum Opfer seiner Umstände wird – und fortan auf nichts als Rache aus ist.
    Sein Hemd war am Rücken klatschnass, und unter seinen Achseln zeichneten sich dunkle sichelförmige Schweißflecken ab. Er hatte um jedes Fitzelchen Information gekämpft wie ein Löwe und sich eine Schneise durch die zunächst unpassierbar erscheinende Dornenhecke aus Unwissenheit, zähflüssiger polizeilicher Informationspolitik und bürokratischer Trägheit geschlagen.
    »Und? Wie läuft’s?«, brach plötzlich Sylvias Stimme in seine kleine, innerlich

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