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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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Gesicht vergrub.
    In Bertrams Kopf ging alles durcheinander. Er löste sich vonihr, richtete sich auf und blickte auf seine Uhr. Sie zeigte fünf Minuten nach vier. Maibach erwartete, dass er die Geiselsache RTL-mäßig anging, frontal und mit direktem Draht zu den Gangstern. Nur wie und durch wen, zum Teufel, sollte er einen solchen Draht bekommen?
    »Er muss es einfach schaffen«, sagte Amina.
    »Ja, das muss er«, erwiderte Bertram tonlos, »das wird er auch.«
    Amina griff nach seinem Arm. »Thomas? Was ist mit dir?«
    »Nichts. Es ist nichts«, sagte er und entwand seinen Arm sanft ihrer Umklammerung. »Es ist nur …«
    »Was?« Amina sah ihn fragend an. »Was ist?«
    Es war, als richte er sein Ohr in eine tosende Stille. Alles in seinem Kopf ging wild durcheinander, doch er war wie durch Panzerglas davon abgeschnitten. Als gehöre es zum Leben eines anderen, der seinen Namen trug.
    »Haben sie gesagt, wann wir Bescheid bekommen?«, lenkte Bertram von ihrer Frage ab.
    »Nein, kein Wort«, sagte Amina und suchte seinen Blick. Wegen der zugezogenen Vorhänge herrschte ein grün gefiltertes Licht, dessen Sanftheit im krassen Widerspruch zu seiner Anspannung stand.
    »Ich frag mal nach, bin gleich wieder da«, sagte er, und ohne Aminas Reaktion abzuwarten, erhob er sich und lief aus dem Zimmer. Auf dem Flur blieb er nach ein paar Metern stehen, sah sich kurz um und strebte der Herrentoilette zu. Drinnen schloss er sich in einer der beiden Kabinen ein, klappte den Deckel herunter und sank auf dem Klosett nieder.
    Von außen waren gedämpft Geräusche zu vernehmen. Minutenlang saß Bertram leicht nach vorn gebeugt und mit geschlossenen Augen da und lauschte dem zischenden Rinnen der Wasserspülung der Pissoirs. Das Gesicht in die Hände vergraben, versuchte er, an nichts zu denken.
    Irgendwann schlug er die Augen auf, zog den Walkman aus seiner Sakkotasche, setzte den federleichten Kopfhörer auf und drückte die Play-Taste. Petersons »I Concentrate on You« ertönte, und augenblicklich sah Bertram sein Hirschhorner Zimmer vor sich, in dem er, bei offenem Fenster auf dem Bett liegend, oft stundenlang Petersons legendäre 64er-Sessions »Exclusively For My Friends« gehört und dabei mit glasigem Blick von Amina geträumt hatte.
    Petersons entspanntes Klavierspiel war auch jetzt Balsam für seine zerrissene Seele, dazu das vertraute lässig-präzise Schnarren von J. C. Heards Schlagbesen über die Felle. O Mann, die Typen waren einfach großartig.
    Bertram hätte am liebsten noch lange so sitzen bleiben, Peterson hören und rhythmisch mit dem Fuß wippen wollen, doch natürlich wartete Amina auf seine Rückkehr und neue Informationen.
    Er sah auf die Uhr, die 16 Uhr 18 anzeigte. Er drückte die Stopptaste, nahm den Kopfhörer ab und schob ihn gemeinsam mit dem Walkman in die Tasche. Er fühlte sich besser. Er würde rausgehen und um das Leben seines Sohnes kämpfen und anschließend Maibach zufriedenstellen. Schließlich war er nicht aus Hirschhorn weggegangen, um schon bei den ersten echten Bewährungsproben einzuknicken.
    Bertram schloss die Kabinentür auf und betrachtete sich im Spiegel über dem Waschbecken. Er blickte in ein müdes, fahles Gesicht und leicht gerötete Augen, die unter den schwarzen, buschigen Brauen seltsam glanzlos wirkten. Er drehte den Wasserhahn auf, hielt seine zu einer Kuhle geformten Händen unter den herausspringenden kühlen Strahl und trank gierig. Anschließend presste er sein erhitztes Gesicht wieder und wieder in das kalte Wasser.
    Er drehte den Wasserhahn zu, strich sich mit einem prüfenden Blick in den Spiegel mit den nassen Händen ein paarmal durchsHaar und trocknete sich an der Handtuchrolle ab. Dabei fiel sein Blick auf eine zerdrückte Bildzeitung, die in dem darunterstehenden Abfallkorb lag.
    Bertram zog die Zeitung heraus, glättete sie und schlug sie auf. Vom Flur erklangen Geräusche: das Schreien eines Kindes und die beschwichtigende Stimme einer Frau, die sagte: »Du brauchst keine Angst zu haben, Lisa. In einer halben Stunde ist alles vorbei.«
    Hastig überflog er die Überschriften, die über mehrere Seiten gehenden Berichte. Und mit jeder Zeile begriff er ein bisschen mehr, was da draußen, keine 300 Kilometer entfernt, vor sich ging. Mit einem Schnellzug konnte er in gut zwei Stunden am Ort des Geschehens sein und RTL-mäßig mit seiner Kamera auf die Opfer und Täter draufhalten und Maibach das Maul stopfen mit Bildern, an denen der noch jahrelang zu würgen

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