Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
Suggestionskraft daraus beziehe, dass seine Macher mit einer bewusst einfachen, komplexe Zusammenhänge absichtlich schematisierenden Sprache operierten. Seinen Lehrer hatte das überzeugt und ihm am Ende 13 von 15 möglichen Punkten eingebracht.
Seine älteren festangestellten Kollegen bei Schwab Versand, wo er während der Ferienzeit als Gabelstaplerfahrer gearbeitet und mit verschweißten Katalogen beladene Paletten durch die zugigen Lagerhallen transportiert hatte, um sich das Geld für seine Interrail-Reise durch England und Schottland zu verdienen, lasen allesamt nur die Bildzeitung. Manchmal hatte er an ihnen vorbei auf das Foto der nackten Frau geschielt, das Bildgirl des Tages, das täglich auf der Titelseite abgebildet war. Der Rest hatte ihn nie interessiert.
Marc schlug die Augen auf und starrte in das Halbdunkel seines Zimmers. Er fürchtete sich vor der Begegnung mit seinem Vater, dem er das Verschwinden der KTM zu beichten hatte. Er hasste es, ihn anzulügen. Außerdem war er noch nie ein besonders guter Lügner gewesen.
Lenny hatte ihm geraten, das Ganze wie einen Diebstahl aussehen zu lassen. Er würde dem Vater das Schriftstück der Polizei hinhalten, das den Diebstahl bestätigte, und ein betretenes Gesicht machen. Denn er konnte ihm unter keinen Umständen von der Sache mit den Söhnen von Abdülkadir Coskun erzählen. Die Coskuns waren für ihre Schlägereien und ihre kriminellen Aktivitäten stadtbekannt und würden womöglich auch gegen seinen Vater handgreiflich werden, wenn der vor ihrer Tür stünde, Schadenersatz für das abgefackelte Moped verlangte und mit der Polizei drohte. Außerdem war die Sache mit dem zerstörten Moped keineswegs ausgestanden.
Ein halbes Jahr zuvor hatten die Coskuns den alten Bargfrede, der seit über dreißig Jahren die zwei Zimmer unterm Dach der Hausnummer 10 bewohnte, mitten in der Nacht vor dem Haus zusammengeschlagen. Angeblich bloß, weil sie die ganze Breite des schmalen Bürgersteigs für sich beanspruchten und er nicht Platz gemacht hatte. Wochenlang hockte Bargfrede bewegungsunfähig und mit angeschwollenem Gesicht in seiner Küche mit der Dachschräge und bat Marc, das Nötigste für ihn einzukaufen.
Lenny, der eine Zeitlang mit einem der Söhne von Abdülkadir Coskun in eine Klasse gegangen war, hatte dessen kriminelle Energie, nachdem er sich im Streit von ihm abgewandt hatte, schmerzhaft zu spüren bekommen. Nach einem Schwimmbadbesuch lauerte Dennis Coskun ihm gemeinsam mit seinen Brüdern auf. Sie schlugen ihn zusammen und nahmen ihm seinen Walkman ab.
Ich hätte mich nie mit Ceylan einlassen dürfen, dachte Marc, richtete sich auf und drückte den On-Schalter des Receivers. Es war 17 Uhr. SWF 3 brachte Nachrichten.
Natürlich begannen die Meldungen mit Gladbeck. Und nachdem es hieß, die zwischenzeitlich verlorene Spur der Gangster sei in Bremen von der Polizei wiederaufgenommen worden, war derkurze Mitschnitt eines Telefonats zu hören, das ein RTL-Reporter am Mittag mit einem der Geiselgangster geführt hatte.
Reporter: Hier ist Hans Meiser, deutsches Fernsehen, guten Tag.
Kann ich bitte einen der Geiselgangster sprechen?
Geiselgangster: Wer ist da? Reporter: Wer sind Sie denn bitte?
Geiselgangster: Wer wohl, der Bankräuber.
Reporter: Bitte, was?
Geiselgangster (ärgerlich): Der Bankräuber!
Reporter: Sie sind der Bankräuber? Wo wollen Sie denn hinfahren?
Geiselgangster: Das werd ich Ihnen auch grad sagen.
Reporter: Na gut, man kann Sie ja mit Hubschraubern verfolgen.
Geiselgangster: Das Gespräch ist beendet.
***
Adam stand im Kreis seiner Kollegen am Busbahnhof Huckelriede und verfolgte eher desinteressiert deren aufgeregte Diskussion um die noch immer irgendwo in der Stadt frei herumlaufenden Geiselgangster. Er machte ein interessiertes Gesicht und nickte manchmal zustimmend, war aber mit seinen Gedanken ganz woanders. Was gingen ihn diese Typen an? Bestimmt würde die Polizei sie in Kürze schnappen, und dann konnte er sie in Handschellen in den Nachrichten sehen, und die Sache hatte sich erledigt. So war das immer. Es geschah etwas, und die Aufregung war eine Zeitlang groß, doch dann machte die Polizei ihre Arbeit, und es herrschte wieder Ruhe. Bis die nächste Sache passierte.
Wozu also die ganze Aufregung?, sagte er sich und beobachtete, wie ein alter Mann auf einen abgewetzten Holzstock gestützt in seinen Bus stieg, der wegen der Hitze mit offenen Türen am Halteplatz der Linie 51 stand. Gegenüber stand,
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