Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
und steckte sich eine Zigarette an. In der Ferne kam es zu Luftspiegelungen über dem flirrenden Asphalt. Im Radio lief auf RB 1 Al Stewarts »Time Passages« und Ahrens trommelte übermütig den Takt mit dem rechten Daumen auf dem Lenkrad mit. Es war kurz vor halb vier.
24 Kilometer weiter nordöstlich lenkte Adam Jalowy den mit einer Handvoll Fahrgästen besetzten BSAG-Bus der Linie 53 vom zentralen Omnibusplatz Huckelriede, wo er die Fahrt kurz nach 14 Uhr angetreten und seine sogenannte, bis 20 Uhr 30 dauernde Halbspätschicht begonnen hatte, in Richtung Kattenturm Mitte. Er hatte wegen der grellen Sonne die dunkelgrüne Plastikblende bis auf Augenhöhe heruntergezogen und das Seitenfenster geöffnet und fuhr die Haltestelle Krimpelweg an.
Von der kaum befahrenen Straße steuerte er den Bus in dieHaltebucht, an der eine Frau und ein Kind warteten. Das Kind hielt eine Eistüte in der Hand.
Hunderte Male war er in den vergangenen Monaten den immer gleichen Rundkurs der Linie 51 im Wechsel mit dem der 21 gefahren. Huckelriede, Krimpelweg, Wolfskuhlenweg, Soesterstraße, Kattenescher, Morsumer Straße, Alfred-Faust-Straße, Kattenturm-Mitte – er konnte die Stationen im Schlaf aufsagen. Doch in diesen Minuten musste Adam an die überraschende Begegnung mit der Taxifahrerin im Dom denken.
Er hätte um Martha trauern wollen, mit der er sich eine gemeinsame Zukunft ausgemalt hatte. Eine Zeitlang hatte er sogar davon geträumt, gemeinsam mit ihr nach Polen zurückzukehren. Doch die Wut und der Kummer, dass sie ihn verlassen hatte, weil er nicht in der Lage gewesen war, ihr das Kind zu schenken, das sie sich so sehr wünschte, erschienen ihm plötzlich unwirklich wie ein Traum. Er liebte Martha noch immer. Er verstand nicht, was in ihm vor sich ging, spürte aber, dass er vor allem Chris, die Taxifahrerin, wiedersehen wollte.
Mechanisch blickte er in den rechten Außenspiegel und drückte die beiden roten Knöpfe, worauf sich die Türen schnarrend öffneten. Die Frau legte drei Markstücke auf die Bezahlsäule und sagte: »Zweimal Kattenturm Mitte, ein Erwachsener, ein Kind.«
Dem Jungen, der immer noch draußen stand und sein Eis in der Hand hielt, rief sie zu: »Schnell, Tim, wirf das Eis weg! Das ist hier drin verboten.« Dabei deutete sie auf den Papierkorb neben der Bank, auf der sie eben noch gesessen hatten. Ihr rundes, von einer verspiegelten Sonnenbrille dominiertes Gesicht war von einem dünnen Schweißfilm überzogen und gerötet. Unter den Achseln zeigten sich dunkle, sichelförmige Flecken. Sie lächelte unsicher.
»Nein, nein, ist schon gut«, entgegnete Adam und sah den Jungen freundlich an. »Bei der Hitze machen wir natürlich eine Ausnahme. Komm rein, Kleiner.« Mit einem triumphierendenGrinsen sprang der Junge die beiden Stufen hinauf und huschte mit seinem Eis an ihnen vorbei.
Adam streckte der Frau die beiden Fahrscheine hin, schloss per Knopfdruck die Türen und fädelte den Bus nach einem Blick in den linken Seitenspiegel in den Verkehr ein.
Bevor sie am Mittag vor dem Dom auseinandergegangen waren, hatte die Taxifahrerin ihm ihre Telefonnummer auf die zerknitterte Rückseite des Terminmerkzettels einer gewissen Dr. Brunner in Seehausen geschrieben. Adam nahm sich vor, sie gleich nach Feierabend anzurufen, um sie zu fragen, wie ihr erster Arbeitstag verlaufen war. Denn wenn er an sie dachte, war es wie bei der ersten Zigarette am Morgen: Ihm wurde kurz schwindelig und eng in der Brust, doch sobald der Schwindel nachließ, war er glücklich.
Im selben Moment stand Brigitte Fischer vor dem Garagentor ihres Grundstücks in der Kölner Südstadt, und legte ihre Hand auf dessen verwitterten Metallgriff. Sie zog das Tor mit einem kräftigen Ruck hoch, so dass es über die Rollschiene nach oben glitt, trat einen Schritt zurück, schob die Sonnenbrille hinauf ins Haar und spähte erwartungsvoll in die Schwärze. Langsam grub das Sonnenlicht ein sich schnell vergrößerndes Loch Helligkeit in das Zwielicht, und im nächsten Moment tauchte ein Gesicht darin auf.
Blitzschnell fasste sie die Gegenstände ins Auge, die sich aus dem Grau herauszubilden begannen: die nachlässig mit einer Plastikplane bedeckten Winterreifen ihres Wagens, die rostige Harke und der Spaten, die an der Wand lehnten, und schließlich die reglos auf ihrer alten Campingliege sitzende bärtige Gestalt.
Irgendwo schrie ein Kind, die Hitze summte in ihrem Kopf, und Brigitte hätte sich am liebsten auf dem Absatz umgedreht, um
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