Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
alltägliches Leben aus, Ihr Alltag?
Marie Collier: Mein Alltag ist ziemlich unspektakulär. Ich lebe zurückgezogen in meinem Kölner Haus und schreibe. Manchmal fahre ich mit dem Auto ins Bergische Land, wo ich ausgedehnte Spaziergänge unternehme. Doch die meiste Zeit sitze ich am Schreibtisch.
RB : Sie sind eine der bekanntesten Romance-Schriftstellerinnen in Deutschland. Was hat Sie dazu veranlasst, Liebesromane zu schreiben?
Marie Collier: Ich begann mit dem Schreiben, als ich noch einem sogenannten bürgerlichen Beruf nachging. Doch irgendwann war das Unbehagen an meinem Arbeitsalltag so groß geworden, dass ich anfing, nach einer Alternative Ausschau zu halten. Und dann begegnete mir eines Nachts eine junge französische Adlige namens Mireille im Traum, deren Geschichte mich nach dem Aufwachen nicht mehr losließ. Bis ich beschloss, sie aufzuschreiben. Zu jener Zeit verkauften sich historische Liebesromane bereits sehr gut. Ich hatte noch nie einen Liebesroman gelesen, aber als ich in eine Buchhandlung ging, um herauszufinden, was man unter einem Liebesroman verstand, stachen mir die endlosen Regalreihen voller Liebesromane ins Auge. Ich kaufte mir ein paar, las sie und war fasziniert. Ich dachte mir, das kannst du auch.
So ein Unsinn, dachte Brigitte gelangweilt und hörte auf zu lesen, weil sie glaubte, von draußen die Stimme des Fremden gehört zu haben, der ihre Rückkehr erwartete. Sie schob die Seiten flüchtigineinander und erhob sich, legte den Stapel auf den unter dem Bücherregal stehenden Eames Lounge Chair von Vitra, den sie sich von ihren ersten Honoraren geleistet hatte, zog ein Buch heraus und beschwerte ihn damit. Die Journalistin hatte ihr für die Überarbeitung des Interviews eine Frist gesetzt, da es in der Oktoberausgabe der »Romantischen Bücherecke« zur Frankfurter Buchmesse erscheinen sollte.
Martin hatte sie auf ihre erste Messe Anfang der siebziger Jahre nach Frankfurt begleitet, aber schon am zweiten Tag bloß noch Verachtung für die gesamte Verlagsbranche übriggehabt. Dabei hatte er selbst eine Zeitlang mit dem Gedanken gespielt, seine Reportagen einem Verlag anzubieten. Als er sich nach langem Zögern dann endlich dazu entschlossen hatte, ausgewählte Arbeiten als Sammelband beim Rowohlt Verlag zu veröffentlichen, machte sein plötzlicher Tod dieses Vorhaben zunichte.
Das Buch hätte trotz allem und mit einem Vorwort von Hans-Dietrich Genscher, den Martin mehrfach auf seinen Auslandsreisen begleitet und mit den ihn am Ende eine Art Freundschaft verbunden hatte, ein Jahr nach seinem Ableben erscheinen sollen. Doch Brigitte, die nun an seiner Stelle eine Textauswahl hätte vornehmen sollen, war einfach nicht dazu fähig gewesen. Seither lagerten Martins Texte gemeinsam mit den Belegheften seiner gedruckten Artikel in einem großen, festverschnürten Karton im Keller.
Sie zog die Tür ihres Arbeitszimmers hinter sich zu und lief hinüber ins Badezimmer, um ein Handtuch und ein Stück Seife zu holen, hielt aber inne, als sie wieder, und nun um einiges deutlicher, die Stimme des Fremden aus dem Garten vernahm: »Hallo? Hallo? Sind Sie da drin?«
***
Marc starrte bereits seit einigen Minuten auf den im Halbdunkel der Wohnzimmerecke auf dem Rollgestell stehenden Fernseher.Er musste an die Sendung »Das Millionenspiel« denken, die er als Zehnjähriger gesehen hatte. In der Fernsehshow musste sich ein Kandidat eine Woche lang gegen einen ihm nach dem Leben trachtenden Auftragskiller behaupten, um den Hauptpreis in Höhe von einer Million D-Mark zu ergattern. Die Bevölkerung war von dem Moderator dabei ausdrücklich dazu aufgerufen worden, entweder dem Gejagten zu helfen oder ihn seinen Verfolgern in die Hände zu spielen. Noch während der Ausstrahlung der Sendung waren zahllose Anrufe irritierter oder erboster Zuschauer bei den Rundfunkanstalten eingegangen, die glaubten, Zeuge einer realen Menschenjagd zu sein.
Auch Marc hatte damals nicht begriffen, dass es sich bei dem Ganzen um ein Spiel, eine Inszenierung handelte, und sich vor dem Fernseher gefürchtet, wenn die Köhlerbande auf den um sein Leben laufenden Lotz schoss.
Seit einer halben Stunde verfolgte Marc die Berichte und Live-Schaltungen in die Bremer Innenstadt. Das Ganze machte ihm Angst, übte aber zugleich eine unerklärliche Faszination auf ihn aus. Weshalb konnten zwei Schwerverbrecher ungehindert von der Polizei am helllichten Tag durch Bremen laufen und dabei auch noch Fernsehinterviews geben? Wie war
Weitere Kostenlose Bücher