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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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das möglich? Und was war mit den beiden Geiseln?
    Die Lage schien weiter unklar, und die Geiseln befanden sich unverändert in der Hand der Verbrecher.
    Marc sah seinen Vater plötzlich in seinem Ohrensessel sitzen und sagte: »Ich habe dich gar nicht reinkommen hören. Seit wann sitzt du denn schon da?«
    »Ich bin gerade gekommen«, antwortete sein Vater und steckte sich eine Reval an. An der Hand, mit der er die Zigarette hielt, klebte Wagenschmiere.
    »Das da ist doch unglaublich«, sagte Marc und zeigte auf die Mattscheibe. »Wieso unternimmt die Polizei denn nichts?«
    »Die wissen nicht, was sie tun sollen«, antwortete sein Vaterund blies den bläulichen Rauch ins Halbdunkel. Zwischen den nicht ganz geschlossenen Fensterläden floss ein breiter Streifen Licht herein und malte einen leuchtend hellen Strich auf die abgewetzten Holzdielen. In sich auflösenden Schleifen schwebte der Zigarettenrauch ganz langsam in die Lichtbahn.
    »Wie lange wollen die denn noch tatenlos zusehen? Bis die Geiseln tot sind?«, rief Marc und verfolgte, wie die Gangster die beiden Geiseln mit vorgehaltenen Waffen in einen Bus dirigierten.
    »Jetzt kidnappen die einen Bus«, sagte Marc. Er nahm allen Mut zusammen, wandte sich zu seinem Vater um und sagte: »Ich muss dir was sagen.« In seinen Satz hinein läutete das Telefon. Marc ging in die Diele und griff zum Hörer. »Ja, hallo?«, sagte er.
    Niemand antwortete. Nur ein leises Klicken oder Rumoren war zu vernehmen.
    »Hallo? Wer ist denn da?«, sagte er nun energischer. Nun hörte er jemanden ausatmen. »Hallo? So sagen Sie doch was.« Es folgte ein tiefes, langgezogenes Seufzen, dann wurde aufgelegt.
    Marc blickte in den Garderobenspiegel, aus dem ihn sein Ebenbild anstarrte wie eine Maske. Dabei hielt er den Hörer, aus dem das Besetztzeichen erklang, weiter ans Ohr gepresst. Er musste an sein brennendes Moped denken. Und bekam Angst.
    ***
    »Thomas«, sagte Amina und sah ihn irritiert an. »Schläfst du etwa?«
    »Nein, nein, natürlich nicht«, schnaufte er und schlug die geröteten Augen auf, »ich hab nur mal kurz die Augen zugemacht.«
    Im selben Moment öffnete sich die Zimmertür, und die grün gekleidete OP-Schwester, mit der Bertram gesprochen hatte, trat an Aminas Bett. »Die Operation ist insgesamt gut verlaufen«, sagte sie. »Allerdings hat die Sepsis ihren Sohn stark geschwächt. Es wurden Teile des Darms entfernt und ein künstlicher Ausganggelegt. Um es klar auszudrücken: Ihr Sohn kämpft weiter um sein Leben. Es tut mir leid, dass ich Ihnen nichts anderes sagen kann.«
    Amina griff nach Bertrams Hand, drückte sie ganz fest und sagte: »Können Sie uns sagen, wie seine Chancen stehen? Wird er es schaffen?« Hilfesuchend blickte sie die Frau an. Bertram erwiderte ihren Händedruck.
    »Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass ich mich nicht zu Prognosen hinreißen lasse«, antwortete die Schwester. »Jeder Organismus reagiert anders auf eine Blutvergiftung, und Ihr Sohn ist inzwischen sehr geschwächt. Hinzu kommt die Belastung durch die Operation. Ich weiß, wie Sie sich jetzt fühlen. Ich kann Ihnen leider nichts anderes sagen. Die nächsten Stunden sind entscheidend. Wenn es Ihrem Sohn gelingt, sich rasch zu erholen, hat er Chancen, zu überleben.«
    Amina suchte Bertrams Blick und drückte wieder seine Hand. Und nachdem die Schwester das Zimmer verlassen hatte, packte sie sie noch fester. »Ich habe solche Angst, Thomas«, sagte sie so kraftlos, als beginne auch aus ihr das Leben langsam zu entweichen. »Was machen wir, wenn er stirbt?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte er und blickte ihr fest in die Augen. »Ich weiß es nicht. Aber so weit wird es nicht kommen. Das verspreche ich dir.« Dann löste er seine Hand vorsichtig aus ihrem Griff, erhob sich und sagte: »Ich bin gleich wieder da.«
    »Aber wo willst du denn hin?«, sagte sie und sah ihn überrascht an.
    »Mir ist was eingefallen«, antwortete er und lief aus dem Zimmer. Auf der Toilette zog er die zerdrückte Bildzeitung aus dem Abfalleimer, strich sie auf dem Oberschenkel glatt und lief damit zurück in Aminas Zimmer.
    »Was soll das denn jetzt werden?«, fragte sie irritiert, als er sich auf dem Besucherstuhl niederließ, seine Aktentasche öffnete und seinen Schreibblock und den Kugelschreiber herausnahm.Die zerknitterte Zeitung lag aufgeschlagen vor ihm auf dem Boden.
    »Arbeiten«, sagte Bertram und begann sogleich sich Notizen zu machen.
    »Du willst hier arbeiten? Sag mal, spinnst du?«

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