Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
Vom Netzwerk:
klopfte, die, an einem Ledergurt befestigt, von seiner Schulter hing.

    Nicht ganz sieben Kilometer Luftlinie von Bremen-Mitte entfernt, kehrte Chris Mahler von ihrer Ferntour nach Rotenburg zurück. Am Ende hatte sie 183 Mark auf der Uhr gehabt. Sie war bereits in Obervieland.
    Nach ihrer Fuhre mit der gestürzten Rentnerin ins Rote-Kreuz-Krankenhaus an den St.-Pauli-Deich war sie per Funk in die Hamburger Straße geschickt worden. Dort war nach mehrmaligem Läuten der Türglocke der Hausnummer 136 ein schwarzgekleideter Mann zu ihr in den Wagen gestiegen, der einen ebenfalls schwarzen ultraflachen Koffer bei sich trug. Nachdem er sie als Erstes gebeten hatte, an sämtlichen Türen die Verriegelungsknöpfe herunterzudrücken, nannte er ihr als Fahrziel Rotenburg,platzierte den Koffer neben sich flach auf dem Sitz und schwieg. Aus dem Augenwinkel konnte Chris sehen, dass der Koffer mit einer Handschelle und über eine massive Stahlkette am linken Handgelenk des Mannes befestigt war.
    »Was soll ’n das hier werden?«, hatte Chris gefragt, als er sie bat, die Türen zu verriegeln. Ohne eine Miene zu verziehen, hatte der Typ geantwortet: »Achten Sie doch einfach auf den Verkehr.« Am liebsten hätte sie auf der Stelle eine Vollbremsung hingelegt und gesagt: »Aussteigen, aber sofort.« Doch die Vorstellung, damit womöglich einen dreistelligen Betrag in den Wind zu schießen, behagte ihr noch weniger, und sie biss kurz auf die Zähne.
    Genau wie ihre Kollegen hoffte Chris auf Ferntouren, die auf einen Schlag eine größere Summe in ihre Kasse spülten und den schnellen Wechsel zu- und aussteigender Fahrgäste eine Zeitlang unterbrachen. Und hin und wieder ergaben sich auf solchen Touren ganz nette Unterhaltungen. Die Fahrgäste, die Taxen für Ferntouren bestellten, unterschieden sich in aller Regel deutlich von dem Publikum, das sonst in den Wagen stieg. Ihr stummer Gast aber war ihr nicht geheuer.
    Während sie die Dörfer und Landstriche der Geestlandschaft am Westrand der Lüneburger Heide in Richtung Rotenburg durchfuhren, sprach er kein Wort. Einmal, auf der Bundesstraße, bat er sie, langsamer zu fahren. Später beklagte er sich ein paarmal über die Hitze im Wagen, untersagte ihr aber trotzdem ausdrücklich, die Scheiben herunterzukurbeln.
    Irgendwann hatte er ihr eine Audiokassette hingestreckt und gesagt: »Schieben Sie die mal rein.« Widerwillig war Chris seiner Bitte gefolgt. Doch als dann zu ihrer Überraschung Andreas Vollenweider erklang, den sie mochte, seine Platte »Caverna Magica« hatte sie vor Jahren dauernd gehört, kamen alte Erinnerungen in ihr hoch, und sie lenkte den Wagen halbwegs beschwingt durch das honigfarbene Spätnachmittagslicht der niedersächsischen Moorlandschaft.
    Als sie die Wümme überquerten und von der Bundesstraße kommend in die Stadt hineinfuhren, wurde der Fremde gesprächiger und dirigierte sie mit knappen, aber präzisen Anweisungen in Richtung Flugplatz. »Sie müssen in Richtung Stuckenbostel.« Kurz bevor sie, inzwischen den Schildern folgend, den Flugplatz Rotenburg (Wümme), der sich auf dem ehemaligen Militärflugplatzgelände befand, erreichten, schnippte er einmal kurz mit den Fingern und sagte: »Die Kassette!«
    Die ganze Fahrt über hatte Chris immer wieder prüfend zuerst in den Rück- und dann in den Seitenspiegel geschaut, so als müsste jeden Moment ein Motorrad aus dem Windschatten eines LKW neben ihnen auftauchen, auf dem hinter dem Fahrer ein Vermummter mit einer auf sie gerichteten Pistole saß. Deshalb war sie froh, als der Unbekannte nach einer guten Stunde endlich aus dem Wagen stieg und ihr zwei nagelneue Einhundertmarkscheine hinhielt. Sie war missbraucht und zum Opfer gemacht geworden. Und wie alle Opfer rechnete sie damit, früher oder später erneut zum Opfer zu werden.
    »Was ist mit Ihrer Quittung?«, rief sie ihm durchs offene Fenster hinterher. Daraufhin drehte er sich um, hob mit der linken freien Hand seine Sonnenbrille, über deren Gläser durch die Bewegung kleine Lichtblitze huschten, kurz an und sagte, ohne auf ihre Frage einzugehen: »Stimmt so. Bis zum nächsten Mal, Zwodoppelvier!«

    Alfred Borgward hatte gewartet, bis alle anderen Fahrgäste ausgestiegen waren. Dann verfolgte er, wie Adam seine auf der Ablage unterhalb der Frontscheibe liegende Tasche griff, seine Sachen hineintat und wieder schloss. Bevor er sich von seinem Sitz erhob, schob er die grüne Sonnenblende hoch.
    Nun würde er Adam die drei druckfrischen

Weitere Kostenlose Bücher