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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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Dann wandte sie sich um, packte das zerdrückte Kopfkissen und boxte wütend hinein, um es in seine alte Form zu bringen.
    »Wir können doch sowieso nichts anderes tun als warten. Außerdem erwartet Maibach, dass ich in der Geiselsache aktiv werde.«
    »Was für eine Geiselsache? Wovon redest du?«
    Bertram hielt ihr die Titelseite der Zeitung hin.
    »Ich bin ganz starr vor Angst und weiß überhaupt nicht mehr, was ich denken soll. Und du, du schlägst hier seelenruhig dein Büro auf. Was bist du bloß für ein Mensch?« Sie fuchtelte mit den Händen, als winke sie unsichtbare Helfer herbei, die Bertram in seinem in ihren Augen völlig absurden Ansinnen stoppen sollten. Dann drehte sie sich um und begann zu schluchzen.
    »Komm, bitte nicht«, sagte Bertram, legte Block und Stift auf den Tisch, erhob sich und setzte sich auf die Bettkante. Dann legte er ihr seine Hand auf die unter ihrem Schluchzen vibrierende Schulter und sagte: »Meinst du vielleicht, mich lässt das kalt? Ich versuche mich abzulenken, um nicht verrückt zu werden und dauernd daran zu denken, was wäre, wenn. Also arbeite ich. Das hab ich immer so gemacht. Schon als Junge habe ich angefangen, mir komplizierte Rechenaufgaben auszudenken, wenn zu Hause dicke Luft war. Wir sollten versuchen, Ruhe zu bewahren, okay? Auch wenn das verdammt schwer ist, hm?« Er strich ihr zärtlich von der Seite mit der Hand über die Wange.
    »Ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn er stirbt«, sagte sie. »Wie ich dann weiterleben soll.«
    Bertram konnte den Geruch ihrer seit Tagen ungewaschenen Haare riechen und schloss die Augen. Er sog ihn tief in seineLungen ein und stellte sich vor, wie im selben Moment der Sauerstoff von den Lungenbläschen an die Kapillaren und im Gegenzug das Kohlenstoffdioxid aus den Kapillaren an die Bläschen abgegeben wurden. Wie ihn dieses ständige Geben und Nehmen am Leben hielt. Ihn. Amina. Und hoffentlich auch ihr Kind.
    ***
    Adam dachte an Martha, dann an Chris, die er so bald wie möglich wiedersehen wollte. Es war ein starker Wunsch, den er beinahe körperlich spürte. Unmittelbar nach Dienstschluss würde er sie von der erstbesten Telefonzelle aus anrufen. Und danach Karoly, um ihm von ihr zu erzählen. Wie sie sich im Dom begegnet waren, wie sie etwas zusammen getrunken hatten und dass sie ihm ihre Telefonnummer gegeben hatte. Mit der Hand für ihn auf die Rückseite einer fremden Visitenkarte geschrieben.
    In wenigen Minuten war seine Halbspätschicht zu Ende. Adam unterhielt sich wieder mit Borgward, dem Englischlehrer, der seit ein paar Wochen regelmäßig mittwochs kurz vor sieben in Bremen-Mitte zustieg und bis zur Endstation Huckelriede mitfuhr. Beim letzten Mal hatte der versprochen, ihm ausrangierte Schulbücher in englischer Sprache mitzubringen. Denn Adam hatte ihm aus einer Laune heraus erzählt, dass er Lust hätte, Englisch zu lernen.
    Sie waren etwa sechs Wochen zuvor das erste Mal miteinander ins Gespräch gekommen, weil Borgward, der offenbar alleine lebte und noch nicht lange in Bremen war, ihn plötzlich beim Bezahlen seines Fahrscheins danach fragte, in welche Kneipen man wohl in Bremen-Neustadt am besten ging, um eine Frau kennenzulernen.
    Wie er so vor ihm stand, schütteres kastanienbraunes Haar, kantiges, vorspringendes Kinn und engstehende, nicht sehr große Augen, hatte er auf Adam einen unglücklichen Eindruck gemacht.Und Adam, der mit Martha meist in ihre Lieblingskneipe, ins »Dandy« in der Sögestraße gegangen war, hatte ihn, ohne weiter zu überlegen, einfach dorthin geschickt.
    Alfred Borgward unterrichtete in einer Berufsschule in Bremen-Mitte Englisch und erzählte ihm auf ihrer zweiten gemeinsamen Fahrt, dass er wegen seiner kürzlich verstorbenen, elf Jahre älteren Schwester nach Bremen gekommen sei, deren kleine Wohnung er unerwartet geerbt hätte. Eines Morgens hätte er, damals noch in Frankfurt, überrascht und mit einem unguten Gefühl den Brief eines Bremer Notars aus seinem Briefkasten gezogen. Doch dann erwies sich dessen Inhalt für ihn als unerwartete Chance, denn mit Frankfurt sei er, O-Ton Borgward: »fertig gewesen«. Die Stadt hätte ihn am Ende bloß noch angeödet.
    Adam hatte wortlos zugehört und ein paarmal zustimmend genickt. Borgward war ihm auf Anhieb sympathisch gewesen.
    »Ich habe heute auch etwas für Sie«, sagte Borgward, der mit der einen Hand eine von der Decke hängende Halteschlaufe umfasst hielt und dabei vielsagend mit der anderen auf seine Aktentasche

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