Ein Dicker Hund.
Testaments. In dem von den erfahrensten Londoner Anwälten aufgesetzten Dokument hatte er das Haus, Grundbesitz, Ländereien und sonstigen Nachlaß sowie sein gesamtes Vermögen dem jeweils jüngsten Midden einer Generation vermacht, unter der Bedingung, daß Middenhall unverändert erhalten blieb und man jedem Midden ein Zimmer zur Verfügung stellte, der eines beanspruchte. Damals hatte es sich nicht so angehört, als seien diese Bedingungen eine große Belastung. Kein zurechnungsfähiger Midden würde in dem gräßlichen Haus wohnen wollen, und das Einkommen aus der Midden-Stiftung war beträchtlich. Als Miss Midden das Anwesen erbte, war alles anders geworden.
11
Zunächst waren die Veränderungen minimal gewesen, so minimal, daß einige Middens, beispielsweise der Bankier Lawrence Midden in Tween, behaupteten, mit dem Tod des lästigen Onkels habe sich die Lage wieder normalisiert. »Da wäre zwar noch dieser unzerstörbare Palazzo«, gab er zu und ließ in einem Aufwasch seinen Gefühlen über Ausländer, Kunst und Verschwendungssucht freien Lauf. »Aber die Stiftung stellt Geld für die Instandhaltung bereit, und wie es heißt, sind reichlich Mittel vorhanden.«
»In Liechtenstein«, sagte Herbert verbittert. »Und wer sind die Vermögensverwalter? Wissen wir irgendwas über sie? Nein, gar nichts. Außer ihrer Adresse, und wenn sich die als Briefkasten entpuppte, würde mich das nicht wundern. Oder als Postfach, in der Hölle.«
Das stimmte. »Black« Middens Gelder waren so diskret auf weltweit verstreute Nummern- und Geheimkonten verteilt worden, daß die Middens ihm nie auf die Spur gekommen wären, selbst wenn sie versucht hätten herauszufinden, wie hoch das Gesamtvermögen war, und die in Liechtenstein errichtete Barriere aus Verschwiegenheit überwunden hätten. Doch die vierteljährlichen Überweisungen gingen regelmäßig ein, so daß es einige Jahre lang möglich war, die Gärten und den künstlichen See mit seiner kleinen Insel in ihrem ursprünglichen Zustand zu erhalten. Middenhall selbst mußte nicht instand gehalten werden. Dafür war das Haus zu klotzig stabil. Offenbar mußte in ihm nur gefegt, gebohnert und staubgewischt werden, was das Hauspersonal übernahm. Doch es kam zu Veränderungen, die kein Midden vorhergesehen hatte, wie den Beginn des Krieges 1939. Middenhall wurde für die Dauer des Krieges vom Verteidigungsministerium requiriert. Herbert Midden kam bei einem Luftangriff auf Tween ums Leben, und seinen Platz in der Erbfolge nahm Miss Middens Vater Bernard ein. Da der erst achtzehn war, als ihn die Japaner in Singapur gefangennahmen und bis zum Kriegsende als Kriegsgefangenen behielten, blieb es dem inzwischen mehr als achtzigjährigen Lawrence überlassen, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um dafür zu sorgen, daß das Haus von den diversen in ihm untergebrachten Einheiten möglichst schwer beschädigt wurde. Alle sandten stumme Stoßgebete aus, daß die Deutschen ihren Beitrag zum architektonischen Erbe Englands leisten würden, indem sie ihre größten Bomben auf das Gemäuer schmissen.
Doch es sollte nicht sein. Middenhall blieb unversehrt. Auf dem Grundstück wurden jede Menge Nissenhütten errichtet, und in dem ummauerten Garten baute man einen Schießstand, während das gesamte Anwesen mit Stacheldrahtzaun umgeben und das Pförtnerhäuschen am Beginn der Auffahrt zu einem Wachhaus wurde. Was in dem Lager vor sich ging, wußte niemand. Es hieß, dort würden Agenten und Saboteure ausgebildet, bevor sie über dem besetzten Europa absprangen; daß man irgendwo auf dem Grundstück einen tiefen Bunker errichtet hatte, wo Englands Widerstandskämpfer im Falle einer erfolgreichen deutschen Besetzung unterkommen sollten. Nur zweierlei stand fest: daß die Kanadier das Haus als Lazarett benutzt hatten, und daß dort gegen Kriegsende deutsche Generäle und hohe Offiziere festgehalten und verhört wurden, weil man hoffte, die vom architektonischen Irrsinn Middenhalls hervorgerufene geistige Desorientierung würde sie zermürben. Der Krieg hatte noch andere Auswirkungen. Laut den Treuhändern in Liechtenstein hatten »Black« Middens versteckte Gelder unter dem Fall Hongkongs schwer gelitten und, was noch schlimmer war, seine Investitionen in gewisse deutsche Industrien waren durch tausend Luftangriffe von Lancaster-Bombern im wahrsten Sinne des Wortes vom Antlitz der Erde gefegt worden. Als Krönung dieser Serie finanzieller Katastrophen waren zahlreiche Goldbarren,
Weitere Kostenlose Bücher