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Ein Dicker Hund.

Ein Dicker Hund.

Titel: Ein Dicker Hund. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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schmutzige Gedanke, sie könnte darin womöglich irgendeine abscheuliche Rolle übernehmen. Nein, sie hoffte und beabsichtigte, eines Tages die Abenteuerlust wiederzuentdecken, die sie als Kind erlebt hatte, wenn sie allein zwischen den Weidenröschen und vor sich hinrostenden Maschinen in dem verlassenen Steinbruch auf dem Folly Down Fell gespielt hatte. Dort hatte sie ekstatische Augenblicke voller ungeahnter Möglichkeiten erlebt, und dieser Ort hatte für sie immer noch etwas Zauberhaftes. Doch als sie nun aus dem alten Humber stieg, war ihre Stimmung alles andere als ekstatisch. »Wenn Sie auch nur ein Fünkchen Verstand besitzen, gehen Sie mir morgen früh aus dem Weg«, sagte sie zu dem Major und ließ ihn ohne Schuhe die Treppe zur Küchentür hinaufhumpeln. Fünf Minuten später lag sie im ersten Stock und schlief.

12
    Major MacPhee saß auf seiner Bettkante und schwelgte in Selbstmitleid. Er hatte Kopfweh, die Stiche über dem einen Auge schmerzten, seine Lippen ebenfalls, und ein Zahn war locker. Seine Hände waren bandagiert und, was am allerschlimmsten war, er hatte ein teures Paar Schuhe verloren. Sie waren zwar nicht beide verlorengegangen, aber Schuhe mußten nun mal ein Paar sein, und er hatte den einen Schuh verloren. Auf seine Schuhe war er so stolz, wie er im nüchternen Zustand nie auf sich selbst stolz sein könnte. Es waren vielleicht die wichtigsten Gegenstände, die er besaß, um seine Erbärmlichkeit zu kaschieren.
    Besonders die festen Halbschuhe. Die hatte er bei Trickers in der Jermyn Street gekauft und sie jeden Abend auf Hochglanz geputzt, wenn er auf seiner Bettkante saß, bevor er sich, wie er es formulierte, aufs Ohr haute. Und jetzt hatte er sie verloren, und außerdem war Miss Midden wütend auf ihn. Sie war schon früher wütend auf ihn gewesen, doch er wußte, daß ihr Zorn diesmal anders war. Diesmal war er nicht grob beleidigend und so kühl, wie er es noch nie erlebt hatte. Der Major genoß anderer Leute Zorn. Sein Leben lang waren die Leute zornig auf ihn gewesen, verächtlich zornig und im Zorn beleidigend, aber noch nie hatte ihn jemand gehaßt. An ihm war nichts Hassenswertes. Er war einfach albern und schwach und hatte nie den Mut besessen, irgend etwas zu machen. Man machte etwas mit ihm, und zwar schon immer. »Du elender kleiner Waschlappen!« hatte ihn sein Vater immer und immer wieder angebrüllt. »Kannst du denn nicht auf eigenen Füßen stehen?« Seine Mutter war auch nicht viel besser gewesen. Zwar freundlicher, aber sie hatte ihn permanent ausgeschimpft und ihn angehalten, sein Gesicht und die Hände zu waschen, oder es noch häufiger für ihn gemacht. Immer und immer wieder hatte er versucht, sich aus seiner Abhängigkeit zu lösen, doch Furcht und seine eigene Passivität hatten das jedesmal verhindert. Und bei jeder neuen Niederlage war sein Selbsthaß gewachsen. Irgendwann war er fortgelaufen, zur See. Doch nicht einmal das stimmte. Er hatte sich planlos aufs Meer treiben lassen und hatte als Hilfskoch auf einem Öltanker gearbeitet, der kurze Fahrten zwischen Rotterdam und kleinen Häfen entlang der Küste unternahm. Bei diesem Job war er zwar nicht alt geworden, hatte aber dabei gelernt, wie man auf Schiffen Arbeit findet, und anschließend als Kabinensteward auf einem Kreuzfahrtschiff angeheuert. Auf seiner dritten Fahrt schloß ihn ein pensionierter Heeresoffizier ins Herz, um dessen Kabine er sich gekümmert hatte. Er war Major und hatte in der leisen Hoffnung für die Kreuzfahrt gespart, vielleicht eine reiche Witwe zu finden, die er nicht zu abstoßend fand, um sie zu heiraten. Statt dessen lernte er den jungen Willy MacPhee kennen und tat allerhand Dinge mit ihm. Es war nicht das erste Mal gewesen, sondern war schon auf Schiffen und in Häfen passiert. Er war es gewohnt, geschlagen und auf die Knie gezwungen zu werden. Doch der Major war anders. Er war zwar arm, aber ein Offizier von echtem Schrot und Korn und wußte, wie man sich kleidete. Das merkte MacPhee an den in seine Jackettaschen genähten Etiketten und an dem Stoff. Doch am allermeisten merkte er es an seinen Schuhen. Sie waren ebenfalls bei Trickers gekauft, und das Leder glänzte blitzblank. Er hatte fünf Paar, die drei braunen ausnahmslos feste Halbschuhe, und er untersagte dem Steward MacPhee streng, sie statt seiner zu putzen. »Das tu ich immer als erstes, bevor ich mich aufs Ohr haue. Ich mußte es tun, als ich zur Armee ging, und seither ist es mir zur Gewohnheit geworden. Also

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