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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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konstruierte, man verweigerte ihm eine tiefere Einsicht in die Zusammensetzung des Eau des Colognes. Auf diesem Ohr war man taub. In Köln und anderswo.
    Wenn nun die Behauptung, bei Kurt Smolek handle es sich um einen kleinen Gott, nur halbwegs ernst zu nehmen ist (und es wäre gut, das zu tun), dann kann man sich vorstellen, wie beträchtlich sein Zorn war. Aber der Zorn nutzte nichts, da Smolek ihn schwerlich in Form eines gewaltigen Donnerwetters ausleben konnte. Seine Macht bestand ja nicht zuletzt darin, als ein einfacher, grauer und vollkommen unwichtiger Mann zu gelten. Und keineswegs als jemand, der Donnerwetter produzierte und Konzernmenschen auf die Füße trat.
    Eine exakte Kenntnis der Inhaltstoffe war nun aber unbedingt vonnöten, da erstens eine chemische Analyse, von Smolek in Auftrag gegeben, nur Bekanntes zu Tage förderte, und andererseits das Verschütten des handelsüblichen 4711 – gleich in welcher Menge – kein anderes Resultat zeitigte, als die scheinbar unkontrollierten und kurzfristigen Verrenkungen von Brot, Lehm, Ton und Plastilin. Da brachte es auch nichts, daß sich Smolek von einem versierten Kunststudenten eine lebensgroße, hyperrealistische Figur aus rotem Lehm hatte anfertigen lassen, in deren Nasenlöcher er den 4711er Odem sprühte. Auch dieses menschliche Abbild – ein Mann, aber ein Mann ohne Geschlecht – erzeugte nichts anderes als eine Wackelei, eine Grimasse wie beim Zwiebelschneiden und minimale Körperverformungen. Dabei kam die Figur nicht von der Stelle und verfiel nach wenigen Augenblicken in den absolut gleichen Zustand und die absolut gleiche Haltung wie vordem. Jede Topfpflanze war lebendiger als dieser formschöne, aber geist- und kraftlose Möchtegernhomunkulus.
    Damit aber wollte sich Smolek nicht zufriedengeben. Pure Zufälle gab es für ihn nicht. Er witterte hinter allen Dingen, erst recht den sonderbaren, eine Bestimmung, einen Plan und einen Zweck. Und überlegte, daß es möglicherweise nötig sein würde, eine Art Super-4711 zusammenzubrauen, indem man eine der Zutaten stärker betonte als in den herkömmlichen Produkten. Wobei Smolek damit rechnete, daß sich der zu erhöhende Bestandteil von selbst aufdrängen müßte. Zumindest dem, der wußte, worum es hier ging. Aber dazu war nun mal eine Kenntnis der Originalrezeptur erforderlich. Das war der Punkt.
    Doch was sollte Smolek tun?
    Einzig und allein das, was seiner äußeren Erscheinung, seiner Tätigkeit als archivierender Persönlichkeit entsprach: nachforschen. So fand er zwangsläufig von den kommerziellen Bemühungen Kölner Kaufmannsleute zu den mitunter schwer durchschaubaren Aktivitäten einiger Kartäuser. Denn wie es schien, hatte der dubiose Umstand der Weitergabe der Geheimrezeptur im Zuge einer Hochzeitsfeier nichts daran geändert, daß Kartäusermönche Unterlagen für die Zubereitung jenes Aqua Mirabilis aufbewahrt und abseits irgendeiner Nutzbarmachung über die Generationen erhalten hatten.
     
    »Wie Sie wissen«, sagte Anna Gemini, »ist mein Sohn ein Kartäuser.«
    »Er ist ein Skateboardfahrer«, berichtigte Cheng. »Ein Skateboardfahrer mit Kartäusermütze. Das ist doch wohl ein Unterschied.«
    »Da irren Sie sich. Diese Jungs, die sich Patres nennen und zu denen Carl gehört, sind sehr viel mehr Kartäuser, als es den Anschein hat. Auch wenn da keine offizielle Beziehung zwischen ihnen und dem Mönchsorden besteht, ist sie in anderer Form dennoch vorhanden. Diese jungen Leute … Also, man könnte sagen, sie stellen einen geheimen, weltlichen Zweig der Kartäuser dar. In keiner Weise weniger streng.«
    »Einen militärischen Arm?« fragte Cheng.
    »Einen sportlichen Arm, das wäre passender. Wobei die Patres ihren Sport ohne jeden individualistischen Ehrgeiz betreiben.«
    »Ja, das ist mir aufgefallen. Keine Sprünge.«
    »Jawohl«, sagte Anna. »Keine Sprünge. Keine Zirkusnummern, sondern Kontemplation. Sie versuchen zudem, einen vollkommen einheitlichen Fahrstil zu entwickeln. Einen Stil, so erklären sie, der Gott gefällt. Schnörkellos und prägnant und konzentriert. Einen Stil wie ein Kreuz.«
    »Man muß nicht alles verstehen«, meinte Cheng, »obgleich ich natürlich bemerkt habe, daß diese Jungs etwas Besonderes tun.«
    »Nein!« rief Anna. »Eben nicht etwas Besonderes. Ein Kartäuser meidet das Besondere, das Herausstechende. Darin besteht sein Glück und Unglück.«
    »Was für ein Unglück?«
    »Indem er das Besondere verwirft«, erklärte Anna Gemini,

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