Ein dickes Fell
nicht ganz unsinnig. Es galt eben, den Vollidioten herauszufiltern, der tatsächlich etwas gesehen oder gehört hatte.
»Machen Sie schon«, sagte Straka.
Bischof offenbarte ein Gesicht wie Traubenzucker, der bröckelt, und verließ den Raum. Eigentlich war das sein Fall. Aber wenn Straka auftauchte, war das natürlich so, als hätte Rubens die Werkstätte betreten. Her mit dem Pinsel!
Dieser Rubens der Wiener Polizei wandte sich nun an Anna Gemini und wollte wissen, in welchem Verhältnis sie zu dem Toten gestanden hatte.
»Haben Sie es nicht begriffen?« fragte Anna ungläubig.
»Dieser Mensch hat mein Kind entführt.«
»Das habe ich schon begriffen. Aber ich will den Grund dafür wissen.«
»Hat Cheng denn nicht …?«
»Herr Cheng hat mir etwas von Kartäusern und Wunderwässerchen erzählt. Sie müssen wissen, ich kenne und schätze Herrn Cheng. Andererseits bin ich verpflichtet, auch glauben zu können, was ich zu hören bekomme. Und ich glaube einfach nicht, daß jemand wegen der Zusammensetzung eines Parfums, das schon meine Großmutter verwendet hat und das eigentlich niemand mehr verwendet außer alle unsere Großmütter, daß darum also Ihr Kind, Frau Gemini, entführt wurde. Ich denke, daß Ihr Junge wohlbehalten in irgendeiner Kneipe ohne Sperrstunde hockt. Von mir aus auch in einer speziellen Kartause. Jedenfalls in keinem Keller oder Verlies. Nachdem, was ich gehört habe, denke ich, daß Ihr Sohn mit jemand mitgefahren ist, den er kannte. Vielleicht tatsächlich mit Herrn Smolek, der ihn aber irgendwo abgesetzt hat, bevor er dann hierherkam, alleine hierherkam, woraufhin geschah, was geschehen ist. Ich bitte Sie, Frau Gemini, ein Vierzehnjähriger! Vierzehnjährige sind so. Alle. Die denken nicht viel nach. Tun dieses, tun jenes.«
»Sie kennen Carl nicht. Sie kennen die Situation nicht.«
»Das ist richtig. Aber ich halte mich an die Logik. Welche mir sagt, daß Ihr Sohn nicht entführt wurde. Sicher nicht wegen 4711. Was verlangen Sie von mir? Daß ich diese Golem-Geschichte für bare Münze halte? Haben Sie bitte Gnade mit mir. Ich bin jemand, der die Dinge auf den Punkt zu bringen hat, Pressekonferenzen hält, übergeordneten Stellen berichten muß. Wenn nicht gar einem Minister, dem gerade fad ist. Wenn ich da anfangen würde, von einem Golem zu erzählen …«
»Smoleks Obsession. Er war vielleicht verrückt«, gab Anna Gemini zu bedenken.
»Glauben Sie, daß er das war?«
»Nein«, sagte Anna und senkte ihren Blick. Nicht wie ein Backfisch, eher wie ein Raubfisch, der den Boden absucht. Dann meinte sie: »Zumindest nicht im üblichen Sinn. Er hat sich das nicht eingebildet.«
»Was hat er sich nicht eingebildet?«
»Die besondere Wirkung von 4711. An der Sache muß was dran sein. Etwas Außerordentliches.«
»Etwas außerordentlich Banales«, korrigierte Straka. »Hier liegt ein Verbrechen vor. Nicht eines, das Smolek begangen hat. Sondern eines, das an ihm begangen wurde. Glauben Sie mir, Frau Gemini, Ihr Sohn wird demnächst auftauchen.«
Und an Cheng gewandt: »Was ist von dieser Dr. Sternbach zu halten? Sie wissen, Sie hätten sie nicht gehen lassen dürfen.«
»Eine Nebenfigur«, winkte Cheng ab. »Hat nichts damit zu tun.«
»Sicher?«
»Absolut.«
»Na gut«, meinte Straka und richtete sich erneut an Anna mit der Frage, in welchem wirklichen Verhältnis sie zu dem Toten gestanden habe. Dabei blickte er über ihre Schulter hinweg auf Apostolo Janota und lächelte knapp, wie um zu bekunden, sehr gut zu wissen, daß Janota zusammen mit Robert de Niro … und so weiter. Straka sagte: »Und Ihre Beziehung, Frau Gemini, zu Herrn Janota würde mich, wenn Sie gestatten, auch interessieren.«
»Herr Janota und ich sind Freunde«, erklärte Anna im abweisenden Ton einer Frau, die Intimitäten gerne für sich behält. »Er ist nur hier, um mir beizustehen.«
Hatte sie das wirklich gesagt? Unglaublich!
Und was tat Janota? Er nickte. Jawohl, er nickte. Das war noch unglaublicher. Tatsächlich konnte er es selbst nicht fassen. Dieses Weibsstück, das vorgehabt hatte, ihn umzubringen, und es auch sicher getan hätte, wäre nicht Cheng aufgetaucht, diese Frau, die eine Killerin war, keine Furie, keine Psychopathin, sondern eine berufsmäßig kalte Vollstreckerin völlig privater Todesurteile, diese Frau also besaß die Kaltschnäuzigkeit, sich vor diesen Oberstleutnant hinzustellen und zu behaupten, er, Janota, sei ein Freund. Ein Freund, der beistehe.
Und anstatt wenigstens
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