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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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den Kriminalisten in dieser Stadt, einer Stadt, in der sich so gut wie jeder als Kriminalist verstand. Selbst die Kriminellen, die das Austricksen der Polizei nicht nur aus existentiellen, sondern auch aus idealistisch-künstlerischen Gründen betrieben. Und vor allem dann in die Falle gingen, wenn sie eine besonders elegante kriminelle Figur zu vollführen versuchten. Eine paradoxe Situation: Ein Verbrecher, der nicht gefaßt wurde, stand unter dem Verdacht, stillos, allein auf Sicherheit bedacht, allzu simpel vorgegangen zu sein. Ein gefaßter Verbrecher wiederum war natürlich gescheitert. Gestürzt bei dem Versuch, zwei vierfache Toeloops zu springen und dabei wie eine zwölfjährige Russin zu lächeln.
     
    Was nun konnte einem der Anblick von Smoleks Leiche sagen? An einen Selbstmord glaubte Straka nicht. Daran glaubte er in den seltensten Fällen. Was war schon ein Selbstmord? Auch wenn die Leute Hand an sich legten, so waren es zumeist andere, die diese Hand geführt hatten. Wo wiederum lag hier die Grenze? Wenn etwa jemand eine Waffe lud und an idealer Stelle plazierte, auf daß sich dann ein anderer damit erschoß. Freilich gab es auch Selbstmörder, die nichts anderes im Sinn hatten, als einen Mitmenschen zu bestrafen.
    Smolek hingegen, dessen war Straka gewiß, hatte niemanden bestrafen wollen. Vielmehr war er es, der bestraft worden war. Und zwar sicher nicht von einem Profi, der im Auftrag gehandelt hatte. 4711 – das war gleichzeitig zu platt und zu originell, als daß es zu einem Profi gepaßt hätte. Profis hatten ständig Angst, etwas Peinliches oder Kitschiges zu tun, was sie übrigens sowohl von der Kunst als auch vom Eiskunstlauf wesentlich unterschied.
    4711 war nun mal kitschig. Und das ganze Szenarium peinlich.
    Nein, es mußte ein Laie gewesen sein. Auch wenn natürlich einige Profis zu der Unsportlichkeit neigten, Laientaten vorzutäuschen. Aber das merkte man bald. Eine Fälschung als solche zu erkennen, gehörte zur Routine. Innerhalb der Polizei sprach man verächtlich von »Möchtegerngaugins«. Einen schlechteren Ruf konnte ein Profi kaum haben.
     
    Der dienstführende Beamte – keiner von denen, an die sich Cheng noch erinnern konnte – trat an seinen Chef heran und schickte sich an, diesem ins Ohr sprechen zu wollen.
    »Sie brauchen nicht zu flüstern, Bischof«, sagte Straka.
    »Nicht in Anwesenheit von Herrn Cheng. Er ist mehr als nur ein alter Bekannter der Wiener Polizei, nicht wahr?«
    »Der Wiener Polizei gehörte mein Herz«, lächelte Cheng. Das war halb ironisch gemeint, und halb stimmte es. Wie ja fast alles im Leben in die zwei Teile des Gewollten und des Ungewollten, des Geliebten und Gehaßten auseinanderbricht.
    Das galt auch für Bischof, Zdenko Bischof, der seinen Nachnamen dem österreichischen Vater und seinen Vornamen der slowakischen Mutter verdankte. Halb liebte er seinen Beruf, halb hielt er ihn für das letzte, was ein vernünftiger Mensch tun konnte. Halb verehrte er Straka, halb verachtete er ihn. Und was er nun gar nicht brauchen konnte, war eine Zurechtweisung in Gegenwart dieses Chinesen, der kein Chinese war. Cheng! Ja, der Name war ihm durchaus vertraut, auch wenn er erst später zur Abteilung gestoßen war. Der Name Cheng war wie ein Zauberspruch, ohne daß man hätte sagen können, was damit zu zaubern war. Eher nichts. Worin wiederum der Reiz von Magie besteht. Ein Spruch, der nichts bewirkt.
     
    »Es geht um den Schlüssel«, sprach Bischof zu seinem Vorgesetzten.
    »Ja?«
    »Es gibt keinen. Zumindest finden wir keinen. Wenn wir ausschließen, daß der Tote seine Türe versperrt und danach den Schlüssel aus dem Fenster geworfen hat, ist anzunehmen, daß jemand anders von außen zugeschlossen und den Schlüssel mit sich genommen hat.«
    In diesem Moment trat Anna Gemini in das Zimmer und erklärte, man müsse in den Keller. Möglicherweise sei dort ihr Sohn.
    »Lassen Sie den Keller absuchen«, wies Straka Bischof an.
    »Und holen Sie die Nachbarn aus den Betten. Die stehen ja ohnehin schon alle hinter ihren Türen. Vielleicht hat jemand was gesehen, was gehört. Vielleicht hat jemand was zu sagen.«
    »Die haben immer was zu sagen«, meinte Bischof mißmutig. Das war ein Aspekt seines Berufs, den er nicht ausstehen konnte. Nachbarn befragen. Vollidioten, deren Aussagen sich in der gröbsten Weise unterschieden. Wichtigtuer, die ständig nach dem Oberchef verlangten, wie man anderswo nach dem Hoteldirektor verlangt. Widerlich. Unsinnig.
    Nun,

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