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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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besaß. Vergleichbar jenen Schoßhunden, die von ihren Besitzerinnen in einen Pullover oder karierten Regenschutz gezwungen werden. Doch Ginettes sichere Handhabung nahm der Komik das Unwürdige. Zurück blieb das Faktum, daß es sich für weniger wetterfeste Geschöpfe nun mal empfahl, bekleidet durch Sturm und Regen zu laufen.
    So wie es sich für einen einarmigen Mann empfahl, auf dem Rücken zu liegen, wenn es um die Liebe ging. Und obgleich Cheng imstande war, mit nur einem Arm Liegestütze zu vollziehen oder diverse komplizierte Süßspeisen zuzubereiten, obwohl er die Fähigkeit besaß, sich über Wasser zu halten wie auch Marmeladegläser zu öffnen, fand er es dennoch sehr viel bequemer, praktischer und nicht zuletzt ästhetischer, auf dem Rücken zu liegen, anstatt sich einarmig aufzustützen oder sackartig auf den Körper einer Frau zu drücken.
    Sich somit in einer ansprechenden Position befindend, blickte Cheng auf die vollen Brüste seiner Geliebten, schöne Körper, die aber nichts von einer Übertreibung hatten. Eine Übertreibung hätte Cheng auch wenig zugesagt, eine bombastische Anhäufung von Brust, so eine Art Rekordversuch. Rekorde haben etwas Jämmerliches, in jeder Hinsicht. Beim Gewichtheben wie beim Hasenweitwurf oder Ausdauerfernsehen. Der Rekord ist immer ein Riese, der ein Zwerg ist. Ein Rekord signalisiert bereits im Moment des Aufgestelltwerdens seine hoffnungslose Unterlegenheit gegenüber der Zukunft. Der Rekord ist die Träne der Gegenwart.
    Rubinsteins Busen hingegen war weder ein Clown noch eine Träne noch ein Riese als Zwerg, sondern ein anmutiges Zeichen ihrer Weiblichkeit. Ein Zeichen, nach welchem Cheng griff, zuerst die linke, dann die rechte Brust berührend, die Unterseiten vorsichtig anhebend. Cheng wog die Brüste in jener vergnüglichen, zärtlichen Art, mit der ein Vater oder eine Mutter sich zusammen mit ihrem Kind auf die Waage stellen, um solcherart ein Gesamtgewicht zu erzielen, ein Gewicht nicht zuletzt der Zuneigung und Verbundenheit. Genau das tat Cheng, er registrierte die merkbare Schwere von Ginettes Brust als etwas Eigenes, so wie er zuvor die fremden Lippen als einen Teil von sich wahrgenommen hatte. Denn eins darf nicht vergessen werden, daß jenes auf einer Waage angezeigte Gewicht zweier Wesen ja immer nur als das Gewicht eines einzelnen erscheint.
    »Mein Liebling«, sagte Ginette, als Cheng die Innenfläche seiner Hand langsam über die beiden Brustwarzen führte, die hart und glühend aus den Mitten zweier Plätze aufragten, welche unpassenderweise als Höfe galten. Mehr als dieses »Mein Liebling« sagte sie nicht. Und das genügte ja auch. Ihr Stöhnen kam gleichmäßig und ohne einen Anflug von Bühnengeschrei. Erstens schlief gleich nebenan ihre Tochter. Und zweitens widersprach es Ginettes Stil, die Welt in Trümmer zu legen, nur um einen Orgasmus zu kriegen.
    Sie gehörte zu jenen Frauen, die sich ihres Höhepunkts sicher waren und nicht schon im Vorfeld eines Geschlechtsaktes sein Scheitern prognostizierten. Was ja die meisten Frauen tun: den voraussichtlichen Nichteintritt ihres Orgasmus zu verkünden. Verschlüsselt oder auch nicht, sie tun es. Es scheint das einzige zu sein, was ihnen wirklich etwas bedeutet, diesen Nichteintritt zu behaupten. Darin besteht ihre eigentliche Befriedigung. Was um Gottes willen überhaupt nichts mit Frigidität zu tun hat. Der Spaß, der sich aus der Ankündigung des Scheiterns und der Einlösung dieser Ankündigung ergibt, ist schlichtweg der ungleich größere. Größer, besser, erregender, viel näher am göttlichen Prinzip, das für die Dinge des Diesseits echte Klimaxe kaum vorsieht.
    Diese beträchtliche und einzige Lust ergibt sich natürlich nicht zuletzt dadurch – und das darf auch einmal gesagt sein –, indem der Eintritt der negativen Prognose den Geschlechtspartner in einen Abgrund stürzt, wo er dann, tief im Dunkel stehend, meint, den Macho geben und der ganzen Welt mit Vergeltung drohen zu müssen.
    Dies aber war im vorliegenden, untypischen Fall völlig anders. Um noch mal den lieben Gott zu bemühen, kann gesagt werden, daß er ganz einfach wegsah und die beiden Menschlein in Ruhe ließ. Welche wiederum das beste daraus machten, dieses In-Ruhe-gelassen-werden nutzten, indem sie ohne jegliche militärische Option einer in den anderen drangen und frei von hysterischem Getue, aber nicht leidenschaftslos, Bakterien verteilten, was ja für das Immunsystem prinzipiell sehr gut sein soll.
    Daß

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