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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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später darauf, daß ihre Enkelin den Namen Ginette erhalten soll. Sie hat richtiggehend darum gekämpft, meine Mutter gezwungen, ja gezwungen. Wenn nicht erpreßt. Trotzdem mag ich meinen Vornamen.«
    »Spielst du Geige?«
    »Ungern. Früher öfters. Wegen Oma.«
    »Ich dachte, die Musik wäre ihr gleichgültig geworden.«
    »Das schon. Aber Geige mußte ich dennoch lernen. Wie man ein Gebet lernt. Oder die Art sich zu benehmen. Es gehört nun mal dazu. Auch Lena lernt Geige. Ein Prinzip. Dagegen kann man nicht an. Wie man nicht dagegen ankann, jemand zu hassen oder zu lieben. Komm jetzt her!«
    Cheng warf einen letzten Blick auf die Fotografie, die die Ahnungslosigkeit dreier Menschen konservierte, und ging zurück zum Sofa, vor dem er aber stehenblieb und hinunter zu Ginette Rubinstein sah. Er sagte: »Deine Tochter will, daß ich dich heirate.«
    »Hat sie dir das gesagt?«
    »Ja. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, daß sie mich mag. So wenig wie ich glaube, einen passablen Vater abzugeben.«
    »Müssen wir jetzt darüber sprechen?« ärgerte sich Rubinstein, der offensichtlich zunächst einmal die Gewißheit reichte, hier keinen »Porno« zu drehen.
    »Ich wollte das gesagt haben.«
    »Was? Daß du dich vor Lena fürchtest?«
    »In gewisser …«
    »Hör auf damit. Laß uns ins Schlafzimmer gehen«, schlug Rubinstein vor. »Vielleicht hilft dir das, dich zu entkrampfen.«
    Nun, diese Frau hatte ganz einfach recht. Das sah Cheng ein und ließ sich von ihr an die Hand nehmen und ins Schlafzimmer führen, in dem außer einem modisch-nüchternem Doppelbett nur noch eine hohe, zylindrische Stehlampe aus lindgrünem Glas und zwei von der Wand hängende afrikanische Masken Platz fanden. Allerdings waren sie nicht wirklich afrikanisch, auch wenn Cheng sie dafür hielt. Das eine glotzäugige Gesicht besaß einen röhrenförmigen Mund und eine Stirn in Form eines umgedrehten Schanzentisches, während die andere Holzarbeit auf Wangenhöhe von einem von dünnen Drähten gestützten Ringausschnitt umgeben war. Mehr ein Ringplanet als ein Gesicht. Saturn in Afrika. Zumindest wenn es nach Cheng ging.
    Als er noch Mieter dieser Wohnung gewesen war, hatte er die meiste Zeit auf seinem Sofa geschlafen, hin und wieder auch hinter seinem Schreibtisch, in der Grube eines ledernen Bürostuhls. Auf ein richtiges Schlafzimmer hatte er verzichtet und verzichtete auch heute noch darauf. Es war selten in seinem Leben geschehen, daß er richtig geschlafen hatte, tief und fest und viele Stunden lang. Eher schlief er wie ein Wecker. Er tickte. Er war stets ein wenig wach, ein wenig in Bewegung. Nicht, daß er nachts aufschreckte und herumlief. Um bei dem Weckerbeispiel zu bleiben: Er läutete niemals vor der Zeit. Aber er tickte eben, gleichmäßig und bei weitem nicht so laut, als hätte er geschnarcht. Soweit jemand von sich behaupten kann, zu ticken statt zu schnarchen.
    Der Mann, der tickte, stand neben dem Bett und ließ sich von seiner Geliebten entkleiden. Wobei Ginette auch sich selbst stückweise entblößte, da sich Cheng als Einarmiger nicht verpflichtet fühlte, etwa einen ohnedies schwer zu öffnenden Büstenhalterverschluß zu lösen. Seine Behinderung ersparte ihm jene männliche Platitüde, die darin besteht, eine Frau auszuziehen, als hätte man es mit einem Weihnachtsgeschenk zu tun. Und man sich also genötigt fühlt, dem feierlichen Anlaß gerecht zu werden, besonders langsam und fürsorglich oder besonders wild und ungestüm vorzugehen. Weihnachtlich verblödet halt.
    Ginette Rubinstein hingegen praktizierte die Enthüllung des eigenen und fremden Körpers mit einer freundlichen Selbstverständlichkeit. Als wäre Ausziehen bloß das Gegenstück zum Anziehen. Und das ist es ja wohl auch.
    Solcherart geschah es, daß die beiden Liebenden sich alsbald nackt gegenüberstanden, ohne bereits unter dem Gefühl zu leiden, etwas würde nicht stimmen. Mit dem Geschenk nicht, oder dem Beschenkten nicht.
    In einer dreihändigen Umarmung glitten Cheng und Rubinstein auf das Bett. Die sorgenlose Zeit reiner Lippenküsse war jetzt allerdings vorbei. Das Leben und die Welt taten sich auf, der Himmel und die Hölle, wobei gerne das Naheliegende vernachlässigt wird. Nicht so bei Ginette, die aus dem Nirgendwo reinweißer Bettwäsche ein blasses Präservativ zog, das sie mit einem gütigen Lächeln über Chengs Erregung stülpte. Es war natürlich wie immer, daß nämlich der Anblick eines kostümierten Glieds etwas zutiefst Burleskes

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