Ein dickes Fell
Cheng ausgesprochen früh kam, war für Ginette überhaupt kein Problem, ganz einfach, weil sie fand, daß die Nacht noch lange genug war und ein Mann mit einer Ejaculatio praecox mitnichten ein Monster darstellte. Solcherart gab sie Cheng jene Sicherheit, über die sie in diesem Punkt so ausreichend verfügte, genug Sicherheit für zwei Leute in einem Bett. Cheng tat mit der Zunge, wozu sein Geschlecht gerade nicht in der Lage war. Und in der Folge fanden Cheng und Rubinstein auch in verwandter Form wieder zueinander, ohne aber dem neuzeitlichen Kult gleichzeitigen Höhepunkts zu folgen, der ja auch nur als Anlaß für Vorwürfe dient.
Sehr viel wichtiger, als im gleichen Moment hier Samen dort Schleim abzusondern, ist es, in einer gemeinsamen, beiderseits gewollten Umarmung einzuschlafen. Genau dies gelang Cheng und Rubinstein, als bereits der Morgen anklopfte, nicht in Form von Licht, natürlich nicht, jetzt im Winter, sondern in Form städtischer Geräusche, die dann also glücklich unbemerkt blieben. Sehr wohl bemerkt wurde hingegen der Umstand, daß nur zwei Stunden nach diesem Einschlafen ein kleiner, zarter und knochiger Körper sich zwischen die beiden Erwachsenen drängte. Es war Lena, die offensichtlich gewohnt war, noch kurz ins Bett der Mutter zu schlüpfen, bevor jener morgendliche Aufwand zu betreiben war, der einem Schulbesuch vorausging.
Ginette Rubinstein tat nichts, um den Willen ihrer Tochter zu behindern. Und Cheng ebensowenig. Das war schließlich nicht sein Bett. Er hatte hier nichts zu sagen. Was wenig daran änderte, daß ihm die Anwesenheit des Kindes doppelt unangenehm war. Einerseits, da er selbst ja vollkommen nackt war, nicht zuletzt sein Armstumpf, wenn auch alles unter einer Decke verborgen. Andererseits, weil er im schwachen Dämmerlicht den triumphierenden Blick des Kindes zu erkennen meinte, dieses Ich-bekomme-alles-was-ich-möchte. Also nicht nur einen sauteuren Fechtkurs und eine nicht minder sauteure Ballettausbildung, von dieser Reiterei auf Pferden ganz zu schweigen, nicht nur die Freiheit, sich wann immer neben die Mutter kuscheln zu dürfen, sondern sich eben auch den zukünftigen Stiefvater auszusuchen. Und genau das hatte Lena ja getan. Ihre Intention dabei mochte ein Rätsel sein, wenn man bedachte, wie unfreundlich sie sich Cheng gegenüber verhalten hatte, bis hin zu einer völlig bizarren antisemitischen Geste. Aber das Rätsel, verpackt als Laune, war nun mal die Domäne solcher obergescheiter Kinder aus besserem Hause. Und der Charakter eines »besseren Hauses« umgab das Wesen dieses Mädchens und somit auch dieser Mutter ganz eindeutig.
Nach einer halben Stunde, an deren Ende Lena in einen kleinen, für Cheng nicht nachvollziehbaren Lachkrampf geraten war, wurde sie von ihrer Mutter liebevoll aus dem Bett befördert.
»Schlaf noch ein bißchen«, sagte Ginette zu Cheng, nachdem sie ebenfalls aufgestanden war, um ihrer Tochter ein Frühstück zu bereiten und bei dem üblichen Haarspangentheater zu assistieren.
Cheng nickte ohne Nicken und kroch noch tiefer in den Kokon seiner Bettdeckenröhre. Sein Kopf lag jetzt bis zur Stirn eingepackt. Er atmete schwer, genoß aber das stark Gedämpfte dieses Zustands. Er dachte, wie schlecht er eigentlich zu einer Mutter und einem Kind aus besserem Hause passen würde, wobei das bessere Haus ja weniger in dieser Wohnung erkennbar wurde, so hübsch eingerichtet sie auch sein mochte, sondern wohl eher aus dem Hintergrund vermögender Großeltern resultierte, die fürs Reiten und Fechten und Geigen, fürs Lyzeum und die Tanzerei ihrer Enkelin aufkamen.
Ja, es war sicherlich so, daß Cheng vor allem diesen Hintergrund fürchtete, irgendeine noble Dame und einen noblen Herrn, die im Jüdischen verhaftet waren, ohne deshalb unbeweglich zu sein, im Gegenteil. Aber würden sie auch so beweglich sein, einen einarmigen, chinesischstämmigen, in einem als dubios verschrienen Gewerbe tätigen, bis in seine Träume hinein unjüdischen Schwiegersohn zu akzeptieren, der fünfzehn Jahre älter als ihre Tochter war.
Sie würden. Aber das konnte Cheng nicht wissen. Konnte nicht ahnen, daß diese Leute noch sehr viel beweglicher waren, als er dachte. Zudem einen klaren Blick besaßen, etwa dafür, daß Cheng ein Mensch mit Manieren war und daß in einer Welt, die vor lauter Gaunern auch in höchsten Positionen überging, gegen einen anständigen Privatermittler nichts zu sagen war. Einen Mann, der nicht einmal vorgab, Kinder ganz, ganz
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