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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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nicht so einfach abschütteln dürfen. Aber genau das tat er. Verdrängte die drei Katzen aus seinen Überlegungen, gleich einem Stabhochspringer, der zwar die zu überspringende Latte nicht aus den Augen läßt – fünf Meter irgendwas, wenn nicht gar sechs Meter –, leider aber den Stab, zumindest das Material des Stabes. Man sollte nicht Metall nehmen, wenn man Glasfiber haben kann.

31 Kein Kaffee
    Der neue Tag war wie der alte, grau und eisig. Wobei der Vorteil der Eisigkeit darin bestand, daß wenigstens kein Schmelzwasser in Chengs Halbschuhe eindringen konnte, sondern bloß fünf, sechs Minusgrade seine kaum geschützten Füße traktierten.
    Wie erwartet hatte der Adlerhof zu dieser frühen Stunde geschlossen. Ein Blick durch die Scheiben führte zu der bloßen Erkenntnis, daß der Gastraum im Dunkel lag. Mit einem Gebell war so oder so nicht zu rechnen gewesen.
    »Da sind Sie ja endlich!« kam von hinten eine Stimme.
    Cheng wandte sich um und erkannte Herrn Stefan, der mit einem dünnen, weißen Arbeitsmantel bekleidet, aber mit festen Schuhen ausgestattet, von der Innenstadt her die Burggasse heraufspaziert kam. Neben sich Lauscher, der ausgesprochen fit wirkte, mit aufgestellten Ohren und geradem Gang, noch dazu diszipliniert dem lockeren Zug einer Leine folgend, während Cheng seinen Hund ja ohne Leine im Wirtshausraum zurückgelassen hatte.
    Der Anblick des Tiers erinnerte schon sehr an den eines üblicherweise eigenwilligen Kindes, das, von einer wildfremden Person betreut, sich plötzlich als zuckersüß oder wohlerzogen herausstellt. Was den meisten Eltern eher peinlich ist, als liege es an ihnen, wenn ihr Sprößling sich bockig und unhöflich benimmt. Und auch Cheng fühlte sich unbehaglich angesichts des jugendlich daherschreitenden Lauschers.
    »Einen braven Hund haben Sie«, erklärte Herr Stefan, wobei er den Griff der Leine gegen seinen Leib drückte. Es schien, als hätte er nicht wirklich vor, diese Leine und damit auch diesen Hund an seinen überfälligen Besitzer abzugeben.
    »Sagen Sie …?« zögerte Cheng. Und wurde dann deutlich:
    »Könnten Sie den Hund bis morgen mittag bei sich behalten, wäre das möglich?«
    »Was haben Sie vor?«
    »Der Tod des Herrn Smolek hat Folgen. Und die Folgen erweisen sich als schwierig. Es ist einiges zu erledigen, wobei ein Hund wie Lauscher stören würde.«
    »Er stört also, Ihr Hund«, wiederholte der Wirt im Ton des Vorwurfs. Sich ganz auf die Seite Lauschers schlagend. Er fand, daß dieser artige Hund etwas Besseres verdient hatte als einen einarmigen Chinesen.
    »Ich will Sie nicht zwingen«, entzog sich Cheng der Debatte.
    »Schon gut«, sagte Herr Stefan. »Ich passe auf Lauscher auf. Wenn Sie ihn wieder abholen wollen, dann morgen abend.«
    »Ich hole ihn sicher.«
    »Vielleicht sind Sie morgen tot«, gab der Wirt zu bedenken. Dabei lächelte er. Es war keineswegs das Lächeln eines bösen Menschen. Denn ob Herr Stefan überhaupt als ein Mensch, gleich ob gut oder böse, gelten durfte, war sehr fraglich. Wenn Cheng ein Engel war, oder etwas in der Art eines Engels, und Apostolo Janota aus der Zukunft stammte, und Kurt Smolek als ein kleiner toter Gott galt, und der Sohn Anna Geminis einen wahrhaftigen Kartäuser und damit Ahnen des heiligen Bruno darstellte, so war Herr Stefan … nun, möglicherweise war er ein Bote, was in dieser Geschichte natürlich nur bedeuten konnte, daß er ein göttlicher Bote war.
    Indem Herr Stefan also erklärte, daß Cheng vielleicht morgen abend gar nicht mehr am Leben sein würde, so bedeutete das viel weniger eine Vorahnung als eine Botschaft. Die Botschaft, nicht nur einfach achtzugeben, nicht nur einfach wachsam zu sein, sondern die Nähe des Todes als gegeben anzunehmen. Den Tod als jemand zu erkennen, der in den nächsten Stunden unentwegt einem seine Hand entgegenstrecken würde, so daß man also am besten absolut niemand vertrauen und schon gar nicht einen Gruß erwidern sollte.
    Das klingt jetzt wie ein Widerspruch. Daß nämlich dieser Wirt, der Cheng nicht wirklich zu mögen schien, ihn warnte. Aber ein Bote war nun mal ein Bote und konnte sich schwerlich den Adressaten einer Botschaft nach eigener Sympathie auswählen. Der Job des Boten war seit jeher ein Scheißjob. Aber er mußte getan werden.
    »Ich verspreche Ihnen zu kommen und meinen Hund abzuholen«, sagte Cheng und senkte seinen Blick. Allerdings ersparte er sich und Lauscher eine spezielle Verabschiedung, eine Zeremonie. Lebewesen, die von

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