Ein dickes Fell
Cheng sich dorthin begab, dachte er, daß es nicht zu erstaunen brauchte, daß Oberstleutnant Straka bei seiner Befragung Mascha Retis nicht weitergekommen war. Das war ganz einfach nicht dieselbe Frau gewesen wie jene, von der Anna Gemini gesprochen hatte und welche angeblich mit Smolek in Verbindung gestanden war. Wen auch immer man nun als die wirkliche Mascha Reti ansehen mußte. Eine Frage, die mit Sicherheit Herr Thanhouser würde beantworten können.
Cheng klopfte an dessen Türe.
»Was wollen Sie?« fragte der großgewachsene Mann, der aufsperrte und öffnete, und dessen rötelfarbener Körper mit weißer Hose und weißem Unterhemd bekleidet war. Die nackten Schultern und nackten Arme steckten wie mächtige Ruder am Rumpf.
Cheng wollte nicht das Wasser sein, in das solche Ruder gedroschen wurden. Er sagte: »Ich möchte Sie sprechen. Darf ich hereinkommen?«
»Wer sind Sie?«
»Ich bin ein Freund von Frau Reti.«
»Frau Reti liegt in ihrem Bett.«
»Ich meine die Frau Reti, die nicht in ihrem Bett liegt.«
»Ich verstehe nicht. Ich will auch gar nicht verstehen. Ich will, daß Sie gehen und mich in Frieden lassen.«
»Hören Sie, Herr Thanhouser«, sagte Cheng, die Macht einsetzend, die darin besteht, den Namen seines Gegenübers zu kennen, welcher umgekehrt nicht in der Lage dazu ist, »für Sie gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder Sie reden mit mir oder in ein paar Stunden mit der Polizei.«
»Warum meinen Sie, mit Ihnen zu reden wäre das kleinere Übel?«
»Ja. Sie haben recht«, sagte Cheng, »das weiß man selten, worin ein kleineres Übel besteht. Entscheiden muß man sich trotzdem.«
Thanhouser betrachtete Cheng wie das Essen, das man nicht bestellt hat, und dennoch nicht zurückzuschicken wagt, wandte sich dann nach hinten und gab einer Person die Anweisung, sich anzuziehen und das Zimmer zu verlassen. Kurz darauf trat an Cheng vorbei eine junge Frau mit Kochschürze, welche mit einer Hand ihr Haar, mit der anderen ihre Schürze glattzustreichen versuchte. Sie bemühte sich um diese typische Ich-treib’s-nicht-mit-jedem-Haltung.
»Na, dann kommen Sie!« sagte Thanhouser und wies in das Dunkel des Raums.
Nachdem Cheng hinter sich die Türe geschlossen hatte, schaltete Thanhouser eine kleine Lampe an, die einen schwachen, rötlichen Lichtkegel auf das weiße Leinen eines Krankenbetts warf. Hinter dem Spalt zusammengeschobener Vorhänge waren Äste zu sehen, auf denen der gefrorene Schnee wie gedrängtes Publikum saß. Cheng nahm in dem einzigen Stuhl Platz, während Thanhouser sich auf das Bett setzte, eine Packung Zigaretten aus der Hosentasche zog und Cheng eine davon anbot. Die beiden rauchten in der Art, wie Männer das tun, bevor sie sich töten.
»Wäre fein«, sagte Cheng, »wenn Sie mir die ganze Geschichte erzählen, ohne daß ich nochmals mit der Polizei drohen muß.«
»Ich weiß noch immer nicht, wer Sie sind.«
»Ich arbeite für die Regierung.«
»Für die österreichische?«
»Ist das wichtig?«
»Na ja«, meinte Thanhouser im Ton leidvoller Erfahrungen, »manchmal macht das schon einen Unterschied.«
»In diesem Fall nicht«, gab sich Cheng bedeckt. Und stellte die Frage nach Frau Reti. Und zwar nach jener dominanten, weißhaarigen und sonnengebräunten Dame, die Thanhouser in den Park geschoben hatte, als Anna Gemini nach Liesing gekommen war.
»Anna Gemini?«
»Eine Frau mit einem Jungen. Skateboardfahrer.«
»Ach ja, ich erinnere mich.«
»Also!« sagte Cheng und malte mit der Rauchschwade seiner Zigarette einen Strich in die Luft. »Reden Sie!«
»Man hat mich bezahlt, damit ich nicht rede.«
»Das ist mir schon klar. Aber Ihnen muß ja auch bewußt sein, daß jetzt ein Moment erreicht ist, wo Ihnen eine solche Loyalität nichts nützen, sondern nur schaden wird. Wenn wir uns unterhalten, vergesse ich vielleicht danach Ihren Namen wieder. Aber sicher nicht, wenn wir uns nicht unterhalten.«
Thanhouser legte den Kopf schief, blies Rauch aus, überlegte und seufzte durch die Nase. Dann begann er: »Das ist jetzt einige Zeit her, ein dreiviertel Jahr oder länger, da stand diese alte Frau vor dem Bett Mascha Retis. Ich bin zu ihr hin und habe gefragt, wer sie sei, ob ich ihr helfen könne. Vornehme Person, hat man gleich gesehen. Sie hat gesagt, sie sei die Schwester.«
»Die Schwester von Mascha Reti?«
»Ja«, antwortete Thanhouser und berichtete, daß jene Frau, die übrigens niemals ihren Namen genannt habe, ihm erklärte, zum ersten Mal seit einer
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