Ein dickes Fell
sie sein Gesicht und seine Manieren.«
»Pah!« stöhnte Lukastik. Und prophezeite: » Ihr Herr Cheng wird uns aber kaum Bericht erstatten. Warum also verschaffen wir ihm einen Vorteil, der sein eigener bleiben wird?«
Straka blickte Cheng wie ein Kind an, das man vor eine Wahl stellt und erkundigte sich: »Und?«
Cheng versicherte, sich sofort zu melden, wenn er das Gespräch mit Mascha Reti beendet habe.
»Und werden uns die Hälfte erzählen«, weissagte Lukastik.
»Ich glaube nicht, daß ich soviel erfahre, um es halbieren zu können«, meinte Cheng und erhob sich. »Ich gehe jetzt und erledige das. Der Punkt ist, herauszubekommen, ob Mascha Reti es war, die Pavor beauftragt hat, sich um Frau Kremser zu kümmern.«
»Das ist der Punkt«, bestätigte Straka.
Lukastik erinnerte, daß man Cheng eigentlich herbestellt habe, auf daß dieser die Ereignisse des vergangenen Abends zu Protokoll gebe.
»Wäre es nicht besser«, sagte Cheng, »wenn ich gleich nach Liesing fahre? Das Protokoll läuft uns nicht davon.«
»Sie laufen uns davon«, meinte Lukastik und trat ans Fenster, aus dem er beiläufig auf die Straße sah. Die vom Schnee eingehüllten Fahrzeuge machten den Eindruck aufgebahrter Eisbären.
Straka fand, daß das Protokoll tatsächlich warten könne.
»Von mir aus«, vollzog Lukastik eine wegwerfende Geste. Er war hier schließlich nicht der Chef. Erneut verschränkte er seine Arme.
»Reden Sie mit Frau Reti. Und dann rufen Sie mich an«, sagte Straka zu Cheng und brachte ihn zur Türe.
Lukastik hingegen blieb am Fenster und war nicht wieder bereit, seine Verschränkung auch nur partiell oder verbal aufzulösen.
32 »100«
»Ich möchte zu Frau Reti«, sagte Cheng, nachdem er von einer freundlichen Pflegerin an eine unfreundliche Pflegerin weitergeleitet worden war, so wie man auf ein Glas guten Weins ein Glas Berliner Leitungswasser serviert bekommt. Ohne natürlich den Sinn einer solchen Bestrafung zu erkennen.
»Sind Sie verwandt mit ihr?« fragte die derbe Person, deren Gesicht an eine volle Wurstplatte erinnerte.
»Sehe ich so aus, als sei ich mit jemand verwandt, der Reti heißt?«
»Was weiß ich, wo heutzutage Chinesen überall hineinheiraten.«
Nun, an dieser Bemerkung war Cheng selbst schuld, hatte sie zumindest provoziert. Was ihn ärgerte. Weshalb er gar nicht erst seine Nationalität klarstellte, sondern die Pflegerin fragte, ob sie Schwierigkeiten mit der Polizei bekommen wolle.
»Sie sind doch kein Polizist«, gab sich die Frau unbeeindruckt.
»Ob Sie Schwierigkeiten wollen, habe ich gefragt.«
»Ach, tun Sie doch, was Sie wollen. Den Gang durch, dann rechts. Im letzten Saal liegt die alte Reti.«
Sodann ließ das Wurstplattengesicht Cheng einfach stehen und begab sich – obgleich ohne Mantel – nach draußen in die eisige Kälte, die einem derartigen Fleischberg wohl nichts anhaben konnte. Cheng wünschte sich einen netten, kleinen Meteoriten, der vom Himmel auf dieses Weib fallen sollte. Dann trat er durch eine Glastüre weiter ins Innere des Gebäudes und somit in eine Heizungswärme der beklemmenden Art. Als wollte man die Leute an diesem Ort ersticken.
Rasch schlüpfte Cheng aus seinem Mantel, den er in einem Wintergarten ohne Garten ablegte, dessen Glasdach schwarz von Schnee war. Eine Weile stand Cheng gerade im Raum und war bemüht, sich an das Klima zu gewöhnen. Eine alte Frau trat ein, kratzte sich am Po und nuschelte durch einen gebißlosen Mund: »Knoblauch.«
Sie hatte recht. Es roch nach Knoblauch. Nicht wirklich penetrant, dennoch intensiv. Unmöglich, den Geruch, war man einmal auf ihn aufmerksam geworden, zu ignorieren.
»Ja, der Knoblauch«, sagte Cheng und verbeugte sich vor der Frau, als verdanke er ihr einen wertvollen Hinweis. Aus dieser Verbeugung heraustretend, ging er zurück in den Flur und begab sich zu den Sälen.
Der Anblick, der sich ihm bot, war nicht wirklich erfreulich. Gut, das war hier auch keine feudale Pensionistenresidenz, keine trendige Alters-WG, kein Trimmdichraum für hemmungslos Junggebliebene, sondern ein öffentliches Pflegeheim, in das Menschen gelangten, denen das Alter und eine geringe Rente zusetzten. Die Räume erinnerten an die Turnhallen alter Schulen, in die man Krankenbetten in Krankenhausanordnung gestellt hatte. Im Stil einer Katastrophenübung. Und eine Katastrophe stellte das Alter ja auch dar. Zumindest wenn es so unverblümt zuschlug wie an diesem Ort. In einigen der Betten röchelten Frauen vor sich hin,
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