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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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kleinen Ewigkeit wieder Wiener Boden unter den Füßen zu spüren. Nicht zu ihrer Freude. Sie habe sich bisher geweigert, zurückzukehren an diesen fürchterlichen Ort, nein, sie sei keine Jüdin, auch nie bei den Kommunisten gewesen, nicht verfolgt worden, aber mancher Schrecken im Leben ergebe sich auch abseits des Politischen. Ein Schrecken, der aus dem Boden eines Ortes aufsteige. Die Luft, die man atmen müsse. Und die alles vergiftet. Dennoch sei sie heimgekehrt. Ein Brief habe sie veranlaßt, nach Wien zu reisen, um ein paar Dinge in die Hand zu nehmen, die zu erledigen ihre Schwester Mascha ja offensichtlich nicht mehr in der Lage sei.
    »Was für ein Brief?«
    »Keine Ahnung«, sagte Thanhouser. »Aber von Mascha Reti hat er nicht stammen können. Die war damals schon nicht mehr in der Lage, einen Stift in die Hand zu nehmen. Dämmerte so vor sich hin. Ihre Schwester aber … topp’, kann ich Ihnen sagen. Klar im Kopf, wie man das selten erlebt.«
    »Und was wollte sie von Ihnen?«
    »Sie hat Leute hier empfangen. Hier im Pflegeheim. Hat sich in den Rollstuhl ihrer Schwester gesetzt und sich von mir ins Freie schieben lassen, um sich als Mascha Reti zu präsentieren. Nicht, daß sie sich verkleidet hätte. Der Rollstuhl, das hat genügt.«
    »Was für Leute sind da gekommen?«
    »Ganz unterschiedlich. Männer, Frauen, jung, alt, aber immer nur Einzelpersonen. Von der Frau mit dem Jungen abgesehen. Sie hat mich stets als ihren Leibwächter bezeichnet. Womit ich leben konnte.«
    »Um was ging es bei diesen Gesprächen?«
    »Schwer zu sagen. Ich mußte ja meistens ein wenig abseits stehen. Hat mich auch nicht interessiert. Ich wurde nicht fürs Horchen bezahlt.«
    »Können Sie sich an einen Gregor Pavor erinnern?«
    »Die Leute wurden mir nicht vorgestellt.«
    »Ein Mann von einem Bankinstitut. Es heißt, er hätte Mascha Reti in Finanzfragen beraten.«
    »Ja, richtig. Das war so einer von einer Bank. Die schleimige Art.«
    »Mit wem sprach er?« fragte Cheng. »Mit der richtigen oder der falschen Mascha Reti?«
    »Der falschen natürlich, wenn überhaupt falsch das richtige Wort ist.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Na, wenn man bedenkt, daß sie Schwestern sind.«
    »Das ist kein Grund, sich für die andere auszugeben«, sagte Cheng und fragte erneut nach Pavor.
    Thanhouser zuckte mit den Schultern, erklärte aber, daß seine Auftraggeberin sich einmal fürchterlich über Pavor geärgert habe.
    »Weshalb?«
    »Es ging um eine Frau Kremser«, sagte Thanhouser, »ich erinnere mich an den Namen nur, weil unser Pförtner auch so heißt. Frau Reti hat getobt. Sie war laut genug, daß ich verstanden habe, wie sie sagte, Pavor sei wohl verrückt geworden, die alte Kremserin aufzuknüpfen. Ich nehme an, das war bildlich gemeint. War es doch, oder?«
    Anstatt die Frage zu beantworten, stellte Cheng eine eigene: »Frau Reti – ich will sie Frau Reti nennen –, wie setzt Sie sich mit Ihnen in Verbindung?«
    »Sie ruft an. In der Regel einen Tag vorher. Dann kommt sie, stellt ihrer Schwester ein paar Blumen auf den Nachttisch, hockt sich in den Rollstuhl und läßt sich von mir nach draußen schieben, wo dann meistens schon jemand wartet. Immer im Anstaltsgarten, immer im Rollstuhl. Gleich bei welchem Wetter.«
    »Was sagen Ihre Kollegen dazu?«
    »Ich hab denen zu verstehen gegeben, daß sie das nichts angeht. Und die halten sich daran. Jeder hat hier so seine Nebengeschäfte. Geht gar nicht anders, bei dem Verdienst. Hier wird sowieso mehr weggesehen als hingesehen. Was man verstehen muß. Sie sollten mal einen Tag …«
    »Hören Sie auf, Thanhouser. Sie scheinen durchaus Ihren Spaß zu haben. Kleine Hausmacht, wie?«
    »Sie haben erfahren, was Sie wissen wollten«, sagte der Pfleger und wies in Richtung auf die Türe.
    »Sie haben also keine Ahnung, wo man Frau Reti finden kann?«
    »Wäre schön blöd von ihr, mir das zu sagen.«
    »Ja, das wäre es«, sagte Cheng und schrieb Thanhouser eine Telefonnummer auf, die er ihm überreichte.
    Thanhouser nahm sie, meinte aber, daß er nicht so weit gehen würde, Frau Reti eine Falle zu stellen.
    »Das ist die Nummer von Oberstleutnant Straka. Es ist sein Fall«, erklärte Cheng. »Wenn sich Frau Reti bei Ihnen meldet, rufen Sie Straka an. Er wird dann entscheiden, was zu tun ist.«
    »Ich dachte, Sie wollten mir die Polizei vom Hals halten.«
    »Tue ich auch. Ich sage Straka, daß man mit Ihnen reden kann. Und es also nicht nötig sein wird, harte Methoden anzuwenden. Mit

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