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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Sie meinen, ich hätte noch Schillinge?«
    »Ihr auf der Polizei werdet doch ein paar alte Scheine verfügbar halten. Schließlich ist die Umstellung ja keine tausend Jahre her, oder?«
    »Also gut, Cheng. Ich besorge das Geld. Wo finde ich Sie?«
    Cheng blinzelte durch die Scheibe des Telefonhäuschens und las den Namen einer Kneipe, auf dessen Leuchtreklame sein Blick fiel. Was er sah, war eins dieser Wunder, die es angeblich nicht gibt, sondern bei denen es sich um Zufälle handelt, die dann von anderen wieder in Fügungen uminterpretiert werden. Der Unterschied zwischen Wunder und Fügung ist, daß Gott von ersterem nichts weiß. Daraus besteht es ja, das Wunder. Aus seiner Freiheit vor Gott. Nicht weniger als vor den Gesetzen der Natur. Aus seiner Autonomie. Jedenfalls lautete der Name des kleinen Lokals: Zum Golem.
    »Das ist nicht Ihr Ernst«, sagte Straka.
    »Vielleicht träume ich.«
    »Dann träumen Sie mich auch«, meinte Straka. Er fand es einen unangenehmen Gedanken, von jemand anders geträumt zu werden. So wie ihn auch die Vorstellung störte, möglicherweise bloß eine Romanfigur zu sein, ein Hirngespinst, Versatzstück im Kopf eines Autisten.
    »Bis gleich!« sagte Straka so heftig, als wollte er das Reale seiner Existenz mittels Lautstärke glaubhafter erscheinen lassen.
    Cheng verließ die Zelle, trat über den Platz aus Busstationen, diesen Weltraumbahnhof kleiner Leute, und ging über ein paar aufwärts führende Stufen in das schmale, schlauchartige und lichtarme Lokal, das vor allem aus einem dunklen Holztresen bestand, der aussah wie eine zusammengeschlagene Skihütte. Hinter der Theke stand ein Mann mit Glatze, der bis zu Chengs Eintreten sein einziger und eigener Gast gewesen war. Was er wohl auch gerne geblieben wäre. Denn dies hier war natürlich eins dieser Stammgastlokalitäten, die sich dadurch auszeichnen, daß ihre Besucher auf wundersame Weise immer schon Stammgäste gewesen sind. Immer schon hierherkamen, irgendwie das Stadium eines ersten Mals übersprungen habend.
    Nun, Cheng war weder Stammgast noch sichtbar ein Kind Liesings, aber er war auch nicht der Typ, der sich von einem unfreundlichen Blick abschrecken ließ. Er schlüpfte geschickt aus seinem Mantel, nahm an der Ausschank Platz und bestellte ein Bier.
    Der Wirt wollte etwas sagen, überlegte es sich aber und holte eine Flasche aus dem Kühlschrank, die er samt Glas und Flaschenöffner vor Cheng hinstellte.
    »Könnten Sie mir das Bier bitte öffnen«, sagte Cheng.
    »Wieso? Haben Sie keine zwei Hände?«
    »Nein«, sagte Cheng und hob – ohne Dramatik, ohne Vorwurf – seinen linken Ärmel leicht an.
    Das Gefühl der Peinlichkeit ergab sich nun für den Wirt nicht aus der übersehenen Invalidität seines Gastes, sondern daraus, wie sehr die eigene Unhöflichkeit ins Leere gelaufen war. Denn jemanden ein ungeöffnetes Bier hinzustellen, war ja auch als Beleidigung nur sinnvoll, wenn der Beleidigte es auch öffnen konnte. Ein Einarmiger aber … nun, der mußte nicht, wenn er nicht wollte. Cheng war ganz einfach in der besseren Position. Folgerichtig trottete der Wirt heran, nahm den Öffner, brach den Korken vom Hals und schenkte ein.
    »Danke«, sagte Cheng im Ton der Sieger, die zu allem Überfluß auch noch freundlich sind. Er tat einen Schluck und holte eine Zigarette aus seiner Tasche. Der Wirt gab ihm Feuer. Mißmutig, aber doch.
    »Darf ich Sie etwas fragen?« nutzte Cheng den Augenblick.
    »Wenn’s sein muß.«
    »Der Name von dem Lokal hier, Zum Golem, was hat das zu bedeuten?«
    »Wissen Sie nicht, was ein Golem ist?«
    »O ja, das weiß ich. Aber wir sind hier nicht in Prag. Und … Na, um ehrlich zu sein, Ihr Lokal sieht mir aus, als sollte es Chez Lotte oder Café Kurti heißen.«
    »Was hätte ich tun sollen? Hat schon so geheißen, wie ich’s übernommen habe. Da hatte ich noch keine Ahnung, daß ein Golem quasi der Domestique von einem Rabbi ist.«
    »Ein Domestique, der überschnappt«, fügte Cheng bei.
    »Jedenfalls was Jüdisches. Eigentlich nix für mich, wenn Sie mich fragen. Aber ein Beisel heißt, wie es heißt. Was will ein ordentlicher Mensch daran ändern? Man kann ja auch nicht alle paar Jahre den Namen von einer Kirche auswechseln, oder von einem Bezirk, gleich wer da gerade an der Regierung ist. Wär doch deppert.«
    »Trotzdem …«
    »Schauen Sie dort rüber«, sagte der Wirt und zeigte in eine nach hinten gelegene Ecke des Raums. In einem kleinen, in Gesichtshöhe an die Wand

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