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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Ausweisung zu drohen, zum Beispiel.«
    »Erstaunlich, sowas von Ihnen zu hören.«
    »Sie meinen, ich sehe selbst aus, als könnte man mich ausweisen. Nun, das ist ein Irrtum, Herr Thanhouser – mich nicht!« sagte Cheng, erhob sich und verließ den Raum. Es tat ihm gut, darauf hinzuweisen, kein Ausländer zu sein. Auch wenn sich das natürlich in dieser Form nicht gehörte. Aber es tat ihm nun mal gut. Punkt.
     
    Am Weg durch den zugeschneiten und vereisten Park begegnete Cheng jener alten Frau, die ihn auf den Geruch von Knoblauch aufmerksam gemacht hatte. Sie kam vom Pförtnerhäuschen her, eine Plastiktüte im Arm, die sie gleich einem noblen Handtäschchen trug. Als sie am stumm grüßenden Cheng vorbeikam, sagte sie, noch immer zahnlos, wie durch eine Röhre sprechend:
    »Du suchst die Reti, Burschi, nicht wahr?«
    Cheng blieb stehen, sah auf die Frau hinunter, diese Rosine von einem Menschen und antwortete: »Ja. Aber nicht die, die im Bett liegt.«
    Die müsse man ja auch nicht suchen, meinte richtigerweise, ihre wache Intelligenz darlegend, das Weiblein.
    Cheng fragte: »Sie wissen, wo ich sie finde?«
    »Hundert Schilling«, forderte die Frau.
    Cheng machte darauf aufmerksam, daß es Schillinggeld nicht mehr gebe.
    Das wisse sie durchaus, sagte die Frau, sie sei ja weder unterbelichtet noch von gestern. Dennoch wolle sie einen guten alten Hunderter, sie sammle diese Scheine. Das alte Geld sei so viel schöner als das neue. Ohnehin könne sie Europa nicht ausstehen. Europa sei eine dumme Erfindung, als sperre man alle Tiere in einen einzigen Käfig.
    »Wo soll ich jetzt einen alten Schein hernehmen?« fragte Cheng.
    »Deine Sache, Burschi.«
    »Und es gibt keine andere Möglichkeit?«
    »Keine«, sagte die Frau.
    »Wie kann ich überhaupt sicher sein, daß Sie mich nicht bescheißen?«
    »Ach, Burschilein, wenn ich dich bescheißen wollt …«, sagte sie, blieb aber schuldig, was sich für diesen Fall alles angeboten hätte.
    »Wenn ich den Hunderter habe«, erkundige sich Cheng, »wo finde ich Sie?«
    Die alte Frau mit der Gestalt eines verhungerten Marders erklärte, sie selbst liege neben Mascha Reti.
    »Der richtigen Mascha Reti«, präzisierte Cheng.
    »Wer da richtig oder falsch ist … meiner Seel«, seufzte das Weiblein im Stil wahrhaftiger Schwermut. »Ist ein Drache denn ein richtiges Monster? Wenn man bedenkt, daß es Drachen doch gar nicht gibt.«
    Cheng wußte nicht genau, was die Frau meinte. Aber das war ja auch nicht wichtig. Er versprach ihr, den Hundertschillingschein postwendend zu besorgen. »Es wäre vorteilhaft«, meinte Cheng, »wenn Sie in der Nähe Ihres Bettes bleiben könnten. Ich will nicht nach Ihnen suchen müssen.«
    »Findest mich schon, Burschi«, sagte die Frau und setzte ihren Weg fort.
    Cheng verließ das Gelände und suchte nahe dem Busbahnhof nach der nächsten Telefonzelle. Er war ja nicht nur ein Detektiv, der die meiste Zeit ohne Waffe unterwegs war, sondern auch ein handyloser Mann, was ja eigentlich kaum vorstellbar ist. Ein Mensch ohne Handy erscheint wie jemand, der eigentlich nichts zu sagen hat, etwa wie ein Mensch ohne Auto den Eindruck der Bewegungsunfähigkeit vermittelt. Und wiederum ein Baby ohne Schnuller – man muß das einmal bewußt wahrgenommen haben – aussieht, als sei es kein wirkliches Baby, sondern eine Puppe. Eine Puppe ohne Schnuller. Während eine Puppe mit Schnuller wiederum für ein echtes Baby gehalten werden könnte.
    Cheng marschierte also über den frostigen Platz und trat in eine Telefonzelle. Der Gestank von Urin hielt sich trotz des eisigen Windes, der durch die Schlitze strömte. Die beiden Telefonbücher lagen zerrissen auf einer verdreckten Platte. Auf den Scheiben Kratzspuren, Geschmiere, getrockneter Speichel. Es sah hier so aus, wie sich die meisten Leute Afghanistan vorstellen. Der Automat aber – glücklicherweise ein Münzgerät – funktionierte.
    Cheng bekam Straka ans Telefon und berichtete lückenlos, was er von Thanhouser erfahren hatte, und daß man also die Schwester Mascha Retis ausfindig machen müsse.
    »Kommen Sie nach Liesing«, bat Cheng, »und bringen Sie einen Hundertschillingschein mit.«
    »Wie bitte?«
    »Da ist eine Frau, eine Bettnachbarin von Mascha Reti, die vielleicht etwas weiß. Sie will aber nur reden, wenn ich ihr einen alten Hunderter besorge. Sie sammelt das Geld. Dabei scheint sie nicht wirklich verrückt zu sein. Sie handelt im Bewußtsein der Unsinnigkeit. Und sie ist hartnäckig.«
    »Und

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