Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
montierten, länglichen Glaskasten war eine Figur zu erkennen. Nicht größer als eine Hand, aber fast ebenso breit. Sie war zu weit entfernt, als daß Cheng etwas Genaues hätte erkennen können.
    »Unser Golem!« erklärte der Wirt. »Der war auch schon hier, als ich kam. Der Kasten ist so festgenagelt, den kriegen Sie nicht herunter. Ist mir auch wurscht. Stört ja nicht, so ein Figürl, so ein Minigolem, der keine Faxen macht und nicht wachsen tut. Meinen Gästen ist das egal, wer da hängt, ob ein Jesus oder ein Golem. Uns sind die Juden egal, und die Araber. Und die Chinesen auch.«
    »Schon gut«, sagte Cheng, rutschte von seinem Hocker und ging nach hinten. Er führte sein Gesicht nahe an das Behältnis heran und studierte die kleine Skulptur aus rötlichem Ton, die nicht aussah, als würde sie noch viele Erschütterungen überstehen können.
    Deutliche Risse zogen sich durch den Körper, der massig war und auf dem ein im Verhältnis kleiner, aber kantiger Kopf aufsaß. Der Golem war nackt, sein Geschlechtsteil jedoch skizzenhaft undeutlich. Nicht minder skizzenhaft das Gesicht, mehr ein Mondgesicht: Punkti, Punkti, Strichi, Strichi, ist das nicht ein Mondgesichti?
    Weder erinnerte der verglaste Golem an eine 4711-Flasche, wie Cheng ein wenig erwartet hatte (so wie man im Traum eine Überraschung erwartet, die dann also mehr durch ihr Ausbleiben als ihr Eintreten überrascht), noch war eine Kölner Hausnummer oder der aus vier Buchstaben bestehende Name Gottes in den Ton eingeritzt worden. Das war ganz einfach eine ziemlich ungeschickt gefertigte, mit auffallend kurzen, dicken Beinen ausgestattete, bröckelige Figur, die als Golem zu erkennen es eines Hinweises bedurfte. Der Golem von Liesing.
    Das Wunder also, von dem zuvor gesprochen worden war, das Wunder eines solchen Lokalnamens, relativierte sich mittels des fehlenden Hinweischarakters dieser Figur. Sie half nicht, so wie ja leider auch die Statuen der Heiligen nicht helfen. Einfach dastehen ist halt ein bißchen wenig.
    Cheng ging zurück zu seinem Sitz und trank sein Bier. Und zwar ohne großen Durst und ohne echtes Vergnügen. Er war noch nie ein leidenschaftlicher Biertrinker gewesen. Er trank es nur, wenn er dem angebotenen Wein mißtraute. Was an diesem Ort zutraf. Und auch während Chengs Stuttgarter Zeit häufig der Fall gewesen war. Dabei besitzt Stuttgart, heißt es, einen guten Wein. Die Frage ist nur, wo man ihn versteckt hält. Sicher nicht in den Kneipen und Restaurants der Stadt. Um den guten Stuttgarter Wein rankt sich ein großes Geheimnis. Er wird Jahr für Jahr angekündigt. Und dann … Beinahe könnte man an eine Verschwörung glauben.
    Als sich eine dreiviertel Stunde später die Türe öffnete, war es Straka, der vom schneeverwehten Platz ins Zum Golem trat. In seiner Hand hielt er einen Hundertschillingschein, mit dem er winkte.
    »Ein Bier?« fragte der Wirt.
    »Kaffee«, bestellte Straka, obwohl Cheng auch davon abgeraten hätte. Von allem, was nicht fix und fertig angeliefert wurde.
    »Ist doch ein Witz, nicht?« sagte Straka.
    »Sie meinen den Namen.«
    »Warum nicht gleich 4711? Oder Gemini? Oder Smoleks End ?«
    »Ja, man könnte meinen«, sagte Cheng, »Gott will uns etwas sagen. Dumm nur, daß er das Rätsel liebt.« Sodann wies er hinter sich auf die tönerne Figurine, die nun auch Straka aus der Nähe betrachtete.
    »Kunstgewerbe«, kommentierte der Polizist, und das war eigentlich schon ein Kompliment.
    Die Männer tranken, schwiegen, zahlten und verließen das Lokal.
    »Endlich«, brummte der Wirt hinterher. Er sehnte sie herbei, seine Stammgäste, von denen demnächst ein jeder aus seinem Mittagsschlaf erwachen würde.

33 2x2
    »Wo ist die Frau?« fragte Cheng die Pflegerin, die bei Mascha Reti saß und ihr Blut abnahm. Dabei zeigte Cheng auf das Nachbarbett.
    »Frau Seeliger?«
    »Wenn die Dame so heißt, die üblicherweise dort liegt.«
    »Wir sind hier nicht im Gefängnis«, erklärte die Schwester und betrachtete Cheng und Straka, als studiere sie betrübliche Röntgenbilder. Gleichzeitig zog sie den Kolben nach oben, und der Zylinder füllte sich mit Blut. »Unsere Patienten, wenn sie denn laufen können, dürfen das auch tun. Ohne sich vorher abzumelden. Frau Seeliger läuft gerne. Und sie sagt selten wohin.«
    »Und Thanhouser?« fragte Cheng. »Noch nicht zurück?«
    »Der macht jetzt seine offizielle Pause.«
    »Ach so! Zuerst die Kür und dann die Pflicht.«
    »Wovon sprechen Sie, Cheng?« wunderte sich

Weitere Kostenlose Bücher