Ein dickes Fell
Straka.
»Nicht wichtig«, antwortete der Detektiv und bat den Oberstleutnant, ihm zu folgen.
Die beiden Männer wechselten den Trakt und gingen zu jener Türe, hinter welcher Thanhouser seine Schäferstündchen zu absolvieren pflegte. Auch diesmal klopfte Cheng. Als sich aber niemand meldete, drückte er die Klinke. Die Türe war unversperrt. Er öffnete sie und trat in den Raum, in dem noch immer die Schreibtischlampe brannte. Ein müder Fleck von Licht streifte das Bett. Beziehungsweise die beiden Körper auf dem Bett. Den halbnackten, muskulösen, rotbraunen Körper des Mannes und das von einem ausgewaschenen, geblümten Kleidchen verhüllte Beinahenichts der Greisin. In Umarmung. Thanhouser und Frau Seeliger.
Das war zumindest der erste Eindruck Chengs, daß die beiden Menschen sich umarmt hielten. Was vielleicht mit seiner noch frischen Erinnerung an Gregor Pavor und damit an die Vereinigung von Alt und Jung zusammenhing. Nachdem aber Straka die Deckenlampe eingeschalten hatte und der Raum zur Gänze in das fahle Licht zweier Neonröhren getaucht wurde, erkannte auch Cheng, daß die Körper ohne Berührung waren, bloß einander zugewandt.
Straka drängte sich vor Cheng, beugte sich zu den beiden Leibern hinunter und sah, ohne sie dabei anzufassen, von einem zum anderen. Er erinnerte dabei an einen Mann, der zwischen einem Gemälde und dessen Fälschung hin- und hersah, unsicher, welches er für was zu halten hatte.
Nun, eines war gewiß, da brauchte Straka niemand zu berühren, daß nämlich Thanhouser und die alte Frau Seeliger tot waren. Wobei der Eindruck von Original und Fälschung bei diesen an sich sehr verschiedenen Körpern daraus resultierte, daß beide von je zwei Kugeln getroffen worden waren, und zwar an völlig identischen Stellen. Man könnte sagen: wie mit dem Maßband erschossen. Je ein Projektil war mittig durch die Stirn in den Kopf gedrungen, das andere Paar auf Höhe Herz in den jeweiligen Leib. Wenn man sich nun vorstellte, daß Thanhouser und Seeliger im Moment der Tötung noch bei Bewußtsein gewesen waren, so war anzunehmen, daß der Täter zunächst einmal den kräftigen, beweglichen Thanhouser erschossen hatte (der somit das »Original« bildete) und erst dann Frau Seeliger (welche also die Kopie einer Tötung hatte hinnehmen müssen). Vielleicht war es so gewesen.
Straka holte sein Handy hervor, wählte eine Nummer und sprach: »Ist sie im Haus?« Der Angerufene antwortete ihm. Straka nickte und wiederholte dann seine Anordnung, Anna Gemini nicht aus den Augen zu lassen. Keine Sekunde. Dann fragte er: »Und Janota? – Aha! Ist also auch da. Gut. Bleiben Sie dran an denen.« Er legte auf, stellte einen neuen Kontakt her und wies Bischof an, nach Liesing zu kommen. Und auch gleich das ganze »Mobiliar« mitzunehmen, was bedeutete, daß Spurensicherung und Polizeiarzt auf dem Programm standen.
Straka schob das Handy zurück in seine Sakkotasche, in der Art, mit der man Dinge einsteckt, die zu bezahlen man gerne vermeiden würde.
»Sie lassen Frau Gemini beschatten?« erkundigte sich Cheng nach dem Offensichtlichen.
»Klar, was denken Sie denn?« antwortete Straka. »Ich halte die Frau für gemeingefährlich. Es ist das mindeste, daß ich ihr auf die Finger schaue, solange ich nicht in der Lage bin, die Hände dieser Finger in Handschellen zu legen. Außerdem läßt mich der Gedanke an Herrn Janota nicht los. Da können Sie noch so sehr auf seiner Harmlosigkeit bestehen.«
Mit Blick auf die zwei Toten meinte Cheng: »Na, wenigstens hierfür dürften Anna Gemini und Apostolo Janota wohl nicht in Frage kommen.«
»Ja, beide waren zu Hause.«
»Übrigens«, sagte Cheng, »werden Frau Gemini und ich heute abend ein Pärchen sein.«
»Ach was!? Schön, es noch zu erfahren, bevor meine Leute mir davon erzählen.«
»Vergessen Sie nicht, Straka, ich bin nicht in Wien, um Urlaub zu machen. Da ist ein Auftrag, den ich zu erledigen habe.«
»Was verlangt man von Ihnen?« fragte Straka. »Daß Sie Frau Gemini schützen?«
»Ich soll mit ihr auf ein Bankett. In der neuen Hauptbücherei.«
»O ja! Ich habe davon gehört … ich meine, von der Veranstaltung«, sagte Straka und erklärte, daß eine Spezialeinheit dorthin abkommandiert sei. Der Prominenz wegen. Allerdings wisse er nicht, worum genau es eigentlich gehe.
Cheng erklärte, daß ein Austausch zwischen Österreich und Norwegen stattfinde. So hochoffiziell wie feierlich.
»Und was wird getauscht?« fragte
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