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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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da waren und wann nicht, wann und wo und weshalb, außer natürlich, daß man sie im Sommer häufig sah und sie eine bestimmte Funktion in der Bereinigung von Verderblichem spielten. Weshalb sie zu den Lieblingstieren von Gerichtsmedizinern zählten. Und von Kriminalschriftstellern und Detektiven, und von Leuten, die all diese Funktionen in einem dümmlichen Hobby vereinten, Leute, die eine Fliege nur anzusehen brauchten und wußten, in welche Art von Aas sie zuletzt ihre Eier abgelegt hatte und in welchem Zustand sich dieses Aas befinden mußte und wie das Aas mit Vornamen hieß. Cheng aber … Wie gesagt, es war Winter und die Fliegen irritierten ihn.
    Ihm kam ein unangenehmer Gedanke: tote Katzen.
    Obgleich er ja schon einige Leichen in seinem Leben hatte betrachten müssen, und durchaus damit zurechtkam, schreckte ihn die Vorstellung toter Haustiere, so wie ihn die Vorstellung toter Kinder schreckte. Das waren Dinge, die er nicht aushielt, wobei er weder als typischer Tierfreund gelten konnte – Lauscher war ja kein wirkliches Tier –, und schon gar nicht war Cheng kinderliebend. Aber er empfand nun mal diese gewisse Unschuld von Kindern und Tieren. Dazu kam Chengs eigener, tiefer, wenn auch unausgesprochener Gottesglaube. Es quälte ihn, daß Gott sich nicht schützend vor die Schwachen stellte. Daß Er nicht ein Heer unbarmherziger Engel zur Erde schickte, die etwa den Kinderschändern ihre Schwänze aus dem Leib rissen.
    Ja, so einfach dachte Cheng mitunter. Folglich widerstrebte ihm, hinunter in den Keller zu steigen, um möglicherweise etwas zu sehen, was er nicht sehen wollte. Andererseits war er nun mal der Detektiv hier. Es gehörte zu seinen Aufgaben, angesichts von Fliegen im Winter, ob das jetzt normal war oder nicht, nach dem Rechten zu sehen. Wenn es denn sonst niemand tat. Den Keller aufzusuchen, weil dies der logische Ort war. Logisch in bezug auf einen möglichen Kadaver.
    Noch immer lag der Kellerschlüssel an der gleichen Stelle versteckt wie zu Chengs Wiener Zeiten. Eins von diesen Geräten, wie sie typisch für das alte Wien sind, so wuchtig, als könnte man damit eine ganze Stadt auf- und zusperren.
    Cheng öffnete die Eisentüre und schaltete die Beleuchtung an, die dank nackter Glühbirnen ein feuchtes, unverputztes Gemäuer in ein vages Licht holte. Nach ein paar Metern bog er zu den hölzernen Verschlägen ab, die rechts und links zellenartig folgten. Vergleichbar dem Dachboden, schien die Renovierung des Hauses auch bis hierher nicht vorgedrungen zu sein. Bloß einige der Vorhängeschlösser waren neu, glitzernde Objekte des Heute im dunklen Wald von Gestern. Immerhin war es sehr viel wärmer als im Treppenhaus. Der vergangene Sommer hielt sich in kleinen Resten. Was wohl auch den Larven der Fliegen zugute kam, falls sie hier unten herumpuppten.
    Cheng warf einen Blick in das verschlossene Abteil, das früher sein eigenes gewesen war und welches nun der Lagerung von Weinflaschen diente. Sie ergaben ein schönes Bild, diese ordentlich in einem Metallgerüst abgelegten dunklen Flaschen, auf denen der ansonst so billige Staub einen teuren Eindruck machte. Kein Staub von der Stange, was Besseres, Rothschildstaub.
    Das Geräusch, das Cheng jetzt vernahm, kam freilich weder vom Wein noch vom Staub. Staub und Wein schnurren nicht, obgleich dies wenigstens zum Staub ganz gut passen würde. Wer schnurrt, das sind Katzen. Gottlob lebende Katzen.
    Es war also ein willkommenes Geräusch, das der ehemals schwerhörige und in seiner geträumten Zukunft vollkommen taube, zur Zeit aber hellhörige Cheng nun registrierte. Allerdings kam es nicht aus dem Verschlag Rubinsteins, sondern aus jenem benachbarten, der zur Wohnung der ehemaligen Mieter Kremser und Pavor gehörte. Cheng tat die zwei Schritte, die nötig waren, vor die Türe zu gelangen. Durch die Spalten zwischen den Latten, im Licht einer ins Abteil hängenden Lampe, erkannte er jetzt …
    Er war schon ziemlich überrascht, einen Mann zu sehen, der in einem alten, an vielen Stellen offenen, ausgeweideten Fauteuil saß, eine Katze im Schoß, welcher er den Kopf und Rücken kraulte, während die anderen beiden Kartäuser Seite an Seite auf einer der Armlehnen hockten und ihre Gesichter in den Unterarm des Mannes vergraben hielten. Wie Katzen das halt so tun, den Körperteil eines Menschen als Schlafmaske benutzend.
    Wie gesagt, daß jemand hier unten saß, als befände er sich mitten in seinem Wohnzimmer, war verblüffend genug. Doch als Cheng

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