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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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augenblicklich an Thanhouser gewendet und dieser hätte nicht minder rasch mit Retis Schwester Kontakt aufgenommen, so wäre mehr als eine Stunde zur Verfügung gestanden, die Sache ins reine zu bringen.
    »Ich mag das nicht«, sagte Straka. »Mir gefällt nicht, wie schnell derzeit die Leichen zusammenkommen. Muß das sein?«
    »Sie reden, als wär’s meine Schuld.«
    »Waren nicht Sie es«, erinnerte Straka, »der darauf bestanden hat, noch vor der Polizei nach Liesing zu fahren? Ich will Ihnen weder Pavor noch Smolek vorwerfen, aber diese beiden hier gehen schon ein wenig auf Ihre Kappe. Das hätte nicht sein müssen.«
    »Was denn?« wehrte sich Cheng. »Kann ich mehr tun, als mich sofort bei Ihnen melden?«
    Straka schüttelte den Kopf und sagte: »Sie wissen genau, daß ich Schwierigkeiten kriege, wenn herauskommt, welche Freiheiten ich Ihnen lasse. Ein Glück, daß Lukastik schweigt.«
    »Ich glaube nicht, daß er mich mag.«
    »Ja, aber er ist keiner, der petzt. Und er besitzt Geduld. Er schon. Nicht aber die Politik. Sie kennen das alte Spiel ja.«
    »Ich denke, daß heute abend alles ein Ende nehmen wird.«
    »Wie? Sie meinen die Feier in der neuen Hauptbücherei?«
    »Ja«, sagte Cheng. »Magda Gude wird dort sein. Sowie Anna Gemini. Und wenn mich nicht alles täuscht, wird auch die Schwester Mascha Retis auftauchen.«
    »Das verstehe ich nicht. Wozu dann die beiden Leichen hier, wenn die Frau gar nicht vorhat, sich zu verstecken.«
    »Na ja, ich glaube nicht, daß wir sie gleich erkennen werden, wenn sie da ist.«
    »Was soll das heißen?« fragte Straka im Ton leichter Gereiztheit. Ihn störte der immense Mangel an Handfestem und Konkretem. Aber das war typisch für Geschichten, die mit Cheng zusammenhingen. Nicht die Ereignisse erwiesen sich als prägend, sondern die Person Chengs, der durch sein Auftreten den Dingen ihre klare Gestalt nahm. Indem Cheng auf die Bühne trat, schien plötzlich alles unter Wasser zu stehen. Verschwommen zu sein. Kein Wunder also, daß Cheng die Frage seines alten Freundes nicht beantworten konnte. Er wußte nicht, in welcher Gestalt und Funktion Mascha Retis Schwester das Wittgenstein-Hamsun-Bankett besuchen würde. So wenig, wie er wußte, worum es wirklich ging.
    Um den Golem? Um einen ermordeten Botschafter? Um einen geretteten Komponisten? Einen toten kleinen Gott? Um die echte Mascha Reti, die da in ihrem Bett lag und in ein Nichts hineinstierte?
    Statt sich festzulegen, erklärte Cheng, es sei spät, er habe noch etwas zu erledigen, bevor er dann hinaus nach Mauer fahren und Anna Gemini abholen werde.
    Straka versprach, daß seine Leute, die vor der Gemini-Villa postiert waren, auf Distanz bleiben würden. Einerseits. Andererseits würde er natürlich Vorsorge für die Veranstaltung in der Hauptbücherei treffen müssen. Auch wenn man ohnedies von hohen Sicherheitsstandards ausgehen könne, angesichts von Botschaftern und Industriellen und wer da alles anwesend sein werde. Andererseits: Was nütze die grobschlächtige Wachsamkeit sogenannter Spezialisten – Menschen, denen Würmer aus den Ohren hingen –, wenn man mit einer geheimnisvollen Dame im Stil eines Fantomas zu rechnen habe?
    Cheng nickte und reichte Straka die Hand. Im Hinausgehen vernahm er, wie der Oberstleutnant sich an Bischof wandte und erklärte, sofort aufbrechen zu wollen, um sich die Janotas vorzuknöpfen. »Nicht nur den Apostolo, vor allem diese Nora. Vielleicht spielt die uns nur was vor.«
    »Nora?« fragte sich Cheng, während er den Gang verließ und in eine Halle trat, in der die Heizungswärme zusammen mit der hereinströmenden Winterkälte ein luftiges Mosaik bildete.
    Richtig, da war ja noch Janotas Ehefrau, die zwar ein Opfer sein mochte, aber letztendlich keine wirkliche Rolle zu spielen schien. Eine Frau im Irrenhaus. Immerhin aber die Enkelin Mascha Retis. Und somit – falls die Schwesterngeschichte stimmte – die Großnichte jener Frau, die hier den Ton angab.
    »Nora!? Wenn jemand schon so heißt«, dachte sich Cheng und verließ das Pflegeheim Liesing.

34 Fliegen im Winter
    »Eine Stunde höchstens«, sagte Cheng mit Blick auf seine Uhr, »dann muß ich weiter. Vorher würde ich aber gerne duschen. Man vergißt im Winter so leicht darauf. Im Winter verdrecken die meisten Menschen. Wenn sie im Frühling erwachen wie Tiere aus ihrem Winterschlaf, stellen sie fest, daß sie stinken und unter ihren Fingernägeln der Dreck wuchert.«
    Ginette Rubinstein lachte und sagte: »Sehr

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