Ein dickes Fell
nett.«
»Was?«
»Daß du zu mir kommst, um dich sauber zu machen. Sauberkeit ist ein guter Teil der Liebe. Und etwas ausgesprochen Familiäres.«
Dies sei auch der Grund, meinte Ginette weiter, daß man auf Geschäftsreisen – und würden da die Hotelbadezimmer noch so sehr funkeln – wenig Lust verspüre, sich zu waschen. Sie kenne das, habe das oft erlebt.
Cheng überlegte, daß er nicht einmal wußte, was diese Frau eigentlich arbeitete. Etwas hielt ihn ab, danach zu fragen. Und auch Ginette schien, wie schon zuvor, als es um ihren Vornamen gegangen war, keine Lust zu haben, davon zu reden. Wahrscheinlich war es einfach nicht von Bedeutung, womit genau sie ihr Geld verdiente. Wahrscheinlich sagte es so gut wie nichts über sie aus. Wahrscheinlich.
»Komm!« sagte Ginette, nahm Cheng an der Hand und führte ihn in den kleinen Naßraum, der einst den Charakter des ewig Feuchten besessen hatte. Und auch tatsächlich nie wirklich trocken gewesen war. Die Fliesen nicht, der Kasten der Klospülung nicht und erst recht nicht der Duschvorhang, der sich wie die Haut einer Robbe angefühlt hatte.
Das hatte sich natürlich geändert. Dank vollständiger Renovierung und Erhaltung derselben mittels automatischer Belüftung. Ein rahmenloser Spiegel führte über alle vier Wände. Das violette Waschbecken und der Toilettenkörper aus dunklem Zinnober strahlten vor dem Hintergrund reinweißer Fliesen. Dazu ein grüner Noppenboden. Man kam sich vor wie auf einer Wiese mit bunten Kühen. Eine Duschkabine fehlte, hätte auf einer solchen Wiese auch gestört. Statt dessen wuchs eine Stange von der Decke, in deren Verankerung ein flacher Brausekopf steckte. Er sah aus, als könnte man mit ihm telefonieren, wohl auch wegen der Tastatur. Tatsächlich aber entließ er einen gut eingestellten kräftigen Regen warmen Wassers. Eine Wanne gab es nicht. Man stand einfach auf der Wiese und duschte.
Also, man duschte nicht nur, sondern hatte auch Sex. Was Cheng in höchstem Maß schätzte, diese Verbindung von körperlichen Genüssen der Liebe wie der Sauberkeit. Das ist etwas, was viele Menschen nicht verstehen, weil sie das Bedürfnis nach Sauberkeit in Momenten des Geschlechtsverkehrs als persönliche Beleidigung ansehen. Als eine Beleidigung ihrer Körpersäfte und ihres Eigengeruchs. Als wäre dieser Eigengeruch ausgesprochen aromatisch. Was so gut wie nie der Fall ist. Babys ausgenommen, und zwar aus gutem Grund. Nicht aber bei Erwachsenen. Diese Leute, diese Eigengeruchsfanatiker, überschätzen sich schrecklich. Wenn sie stinken, halten sie das auch noch für einen Gewinn.
Ginette Rubinstein hingegen genoß eine solche Symbiose des Geschlechtlichen mit dem Reinlichen in ähnlicher Weise wie Cheng. Nach dem Sex rieb man sich mit Seife ein, eben nicht, um erneut ein Lustgefühl zu erzeugen, sondern vielmehr so, wie man nach einer netten kleinen, höchst gelungenen Feier gerne aufräumt. Zumindest wenn man gerne aufräumt.
In weiße, warme Frotteemäntel gehüllt, gingen Cheng und Rubinstein ins Schlafzimmer, wo sie mitsamt ihrer Mäntel unter die Decke krochen, der eine den anderen wie einen Ball umklammernd. In der Art von Torleuten, die das gefangene Leder eine Weile zu halten pflegen, als wollten sie es nie wieder an das Spiel zurückgeben.
Cheng war rasch eingeschlafen. Gleichwohl tickte er. Selbst im Schlaf noch war ihm bewußt, daß er wenig Zeit hatte. Daß Anna Gemini wartete. Und daß ihm ein harter Abend bevorstand. Dennoch fiel er in einen Traum, wie um alles zu erledigen, was man in fünfzehn Minuten Schlaf schaffen konnte. In diesem Traum war er deutlich gealtert. Zudem hatte sein Gehör erneut aufgegeben. Er war tauber denn je. Möglicherweise auch wegen der riesigen Ohrenschützer, die er trug, die aber die meisten Menschen trugen, denen er begegnete. Und das waren eine ganze Menge. Immerhin befand er sich in China, also in einem Land, in dem er im wirklichen Leben nie gewesen war. Aber was kümmert das einen Traum?
Cheng begriff, sich in der Millionenstadt Kunming aufzuhalten, die allerdings österreichische Züge trug. Man stelle sich eine Vase im chinesischen Stil vor, die Form, das Muster, alles wie es sich gehört, jedoch in den Farben Rot-Weiß-Rot gehalten. So war das. Cheng selbst arbeitete in einer U-Bahn-Station für den Reinigungsdienst. An seinem linken Armstumpf war ein Staubsauger montiert, in seiner rechten Hand hielt er einen Besen. Er kehrte und staubsaugte in einem fort, sah Menschen und
Weitere Kostenlose Bücher