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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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U-Bahnen kommen und gehen und vernahm dabei keinen einzigen Ton. Hingegen registrierte er einen Zustand gleichbleibender Berauschtheit. Er trank nicht, war aber betrunken. Und das tat ihm gut. Es machte ihn milde. Leider hielt es ihn nicht ab, auf eine Frau am Bahnsteig aufmerksam zu werden. Eine Weiße mit Zigarette. Verbotenermaßen stellte Cheng seinen Besen zur Seite, koppelte seinen Staubsaugerarm vom Einzugschlauch ab und näherte sich der Person. Einfach darum, weil er an ihrer behandschuhten Hand ein lasch herabhängendes Glied bemerkt hatte, was auf einen fehlenden Finger schließen ließ. Der Anblick erinnerte Cheng an einen seiner alten Fälle, an eine Frau namens Grimus, die ihm entwischt war wie so manches.
    Detektive sind natürlich wie alle Menschen, sie laufen ihrer Vergangenheit hinterher. Und erst recht den verpaßten Möglichkeiten. Und darum also folgte Cheng der Frau in das U-Bahn-Abteil, folgte ihr später in einen Aufzug und sodann hinauf in ein hochgelegenes Luxusrestaurant, wo er sich an schwerbewaffneten, explizit deutschen Wachleuten vorbeischwindelte, Karikaturen des Bösen, schwarz bis auf die Zähne.
    Dort oben, in einem Lokal aus wehenden Palmen und fliegenden Kellnern, beobachtete Cheng, wie die Frau mit dem fehlenden Finger sich zu jemand setzte, den Cheng ebenfalls zu kennen meinte, den er aber für tot gehalten hatte. Einen einstigen Auftraggeber. Genau den, dessen Auftrag Cheng den Arm gekostet hatte.
    Da saßen sie also, dieser Mann aus alten Zeiten und diese Frau aus alten Zeiten, plaudernd, amüsiert. Für Cheng war das, als verschwöre sich die Vergangenheit gegen ihn, als würde die Vergangenheit bei bestem Wein und bestem Fleisch sich mit sich selbst einig werden, ihn aber ausschließen. Wie um sich von der Last des Absurden zu befreien, das er, Cheng, verkörperte.
    Cheng war wütend. Vorbei an erschrockenen Gästen, die einen unterprivilegierten Staubsaugermann an einem solchen Ort für eine Bedrohung hielten, eilte Cheng auf »seine« Vergangenheit zu, stellte sich vor den Tisch hin und betrachtete die Frau und den Mann mit stillem Vorwurf. Die Frau ignorierte ihn. Ganz in der Art derer, die immer und überall elegante Handschuhe tragen. Solche Frauen sind das Unglück unserer Welt.
    Der Mann aber, Chengs ehemaliger, angeblich toter Auftraggeber erhob sich, produzierte ein schleimiges Lächeln und redete auf Cheng ein. Nun, Cheng verstand kein Wort. Er war ja taub. Darum sagte er: »Ich kann dich nicht verstehen.«
    Das war eine unglaublich lächerliche Situation, selbst für einen Traum.
    Der Mann, der auferstandene Auftraggeber, bemerkte nun, daß sich in Chengs Rücken etwas zusammenbraute. Er griff nach dem Handgelenk der Frau und zog sie zu sich hoch. Ein wenig sah es aus, als sei die Frau blind. Aber das wollte Cheng nicht glauben. Jedenfalls hielt der Mann die Schulter der Frau und dirigierte sie fort.
    Von seiner Vergangenheit im Stich gelassen, wandte sich Cheng um. Die schwarzen Männer mit den schwarzen Zähnen hatten sich vor ihm aufgereiht, die Gewehre im Anschlag. Interessante Gewehre, formschön, elegant, ganz anders, als man hätte annehmen können, daß in Zukunft Gewehre aussehen werden. Weder besonders martialisch, noch besonders technoid. Eher wie schlanke Brotlaibe, friedlich also, biblisch.
    Was nichts daran änderte, daß man damit schießen konnte. Tat man auch. Cheng vernahm die unzähligen kleinen Explosionen, die den Start eines jeden Projektils einleiteten. Plötzlich konnte er hören.
     
    Nun gut, immerhin war er in diesem Moment erwacht. Nicht schweißgebadet, aber doch ein wenig angefeuchtet, so in der Art seines ehemaligen Badevorhangs. Cheng richtete sich auf. Ginette lag neben ihm, schlief. Er drückte ihr je einen Kuß auf die geschlossenen Lider, die ihm jetzt als Münder erschienen. Wie man seine Lippen auf einen Spiegel preßt. Sodann deckte er Ginette zu und stieg aus dem Bett.
    Zehn Minuten später war er angezogen, hatte ein Taxi gerufen und ging soeben das Treppenhaus hinab. Erneut fielen ihm die Katzen ein. Er blickte sich um. Die drei leer geleckten Schalen standen noch immer am Boden, dort wo die Treppe in eine kleine Vorhalle mündete, von der zwei Gänge zu den ebenerdigen Wohnungen führten, ein weiterer in den Keller und ein vierter zum Haustor. In den Futternäpfen, in denen winzige Überreste getrockneten Fleisches klebten, saßen Fliegen.
    Fliegen im Winter? Cheng dachte nach. Er hatte keine Ahnung von Fliegen. Wann sie

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