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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Schlangenhalter.«
    »Meine Güte«, lachte ich und fragte, was davon zu halten sei.
    »Nichts«, antwortete Dalgard. »Was auch sollte es bedeuten? Ich wollte Ihnen nur davon erzählt haben. Wie komisch manchmal die Dinge laufen. Wie schwindelerregend Zufälle sein können.«
    »Zufälle sind feurige Drachen«, sagte ich. Ich meinte das auch so.
    »Da könnten Sie recht haben«, überlegte Dalgard. »Drachen, die vor lauter Langeweile Verrücktes tun.«
    Damit schloß er das Gespräch.
    Am nächsten Tag kaufte ich mir den Film auf DVD und spielte ihn ab. Ebenfalls die deutsche Fassung. Und tatsächlich, die von Eva Marie Saint gespielte »dauergewellte Blondine« sagt: »3902.«
    Cary Grant darauf: »Das ist eine entzückende Nummer.«
    Schlafwagenabteil 3902 erweist sich in der Folge als Ort der Rettung und der Liebe. 4711 kommt freilich nicht darin vor. Zumindest nicht namentlich.
    Ich wußte nicht, was ich damit anfangen sollte. Mit diesem kleinen Drachenzufall. Aber für sinnlos hielt ich ihn keinesfalls. Solche Zufälle prasselten nicht einfach auf die Erde, ohne eine Funktion zu besitzen. Aber selbige zu erkennen, darin lag natürlich eine Schwierigkeit. Ich würde aufpassen müssen.
    Zunächst aber öffnete ich das entwendete Fläschchen Echt Kölnisch Wasser und legte meine Nase über den offenen, bestäuberfreien Flaschenhals. Eine plötzliche Angst ließ mich die Luft anhalten. Was nichts daran änderte, daß der süßliche Geruch aufstieg und sich in meinem Naseninneren breitmachte.
    Eine offene Nase ist eine offene Nase. Bloß die Luft anzuhalten, ist etwa so wirksam, als wollte man versuchen, durch das Schließen der Augen beim Essen die Gefahr des Dickwerdens zu verringern.
    Ich nahm die Flasche herunter, drückte die Öffnung gegen eins meiner Handgelenke und verrieb die Essenz.
    Nichts geschah. Ich fühlte mich weder besser noch schlechter. Schon gar nicht explodierte ich oder fing Feuer. In keiner Hinsicht.
    Und doch war es mir unmöglich, die Sache einfach abzubrechen, wie man Spiele abbricht, wenn die Felder unter Wasser stehen und ein paar Leute nasse Füße bekommen. Kein schlechtes Wetter würde diese Geschichte außer Kraft setzen können. Der einmal gewählte Weg war zu Ende zu gehen. Und der nächste Schritt konnte nur darin bestehen, einen persönlichen Kontakt zu Sam Soluschka herzustellen.

36 Wenn Aschenbrödel böse wird
    Das war nicht wirklich schwierig für mich. Soluschka war ein Star, aber ein Star, wenn auch eine Stufe darunter, war ich ja selbst. Ich ließ mich einfach von einem befreundeten Journalisten auf eine Party mitnehmen, die Soluschka gab. Leider nicht in seiner Wohnung, die keiner zu kennen schien, da er jedermann, selbst seine Eltern noch, in Hotelbetten unterzubringen pflegte.
    Man feierte also in einem gemieteten Nobelrestaurant, das in einer ehemaligen Werkshalle eingerichtet war. In dem hohen Raum entwickelten die Gespräche einen Klang, als würden sich Maschinen lieben. Was den Leuten aber gefiel, diese schreckliche Akustik, die Kälte, der Dreck auf dem Boden. Das Lokal war berühmt dafür, daß der Boden, auf dem man sich bewegte, stand oder saß, niemals gereinigt wurde, daß noch Staub lag aus Industriezeiten, während etwa die Kellner oder Kellnerinnen geschleckter nicht sein konnten. Man atmete Staub, aber es war eben alter Staub, so wie der Wein und der Cognac alt waren. So einen Staub bekam man kaum noch wo.
    Soluschka war eigentlich ein kleiner Mann, während die Mädchen, die um ihn herum standen wie um einen Modeschöpfer oder Handballtrainer, ihn alle um einen Kopf und mehr überragten. Er genoß es sichtlich, klein zu sein, ohne leiden zu müssen. So wie man genießt, eine Katastrophe überlebt zu haben. Ein Musterschüler zu sein, aber kein Streber. Mamas Liebling, aber dennoch ein Frauenheld.
    Ich bemerkte gleich, daß Soluschka flache Schuhe trug. Er hätte wohl noch kleiner sein wollen, aber ein Zwerg war er nun mal nicht. Auch kein Gnom, sondern ein aparter Junge mit langen Wimpern und langen Haaren und einem Gesicht, das auf eine schmuckvolle Weise zerkratzt anmutete. Jawohl, zerkratzt. Seine schmale Nase, seine vertieften Wangen, sein gestochener Mund, erst recht seine schlanken Augen besaßen den Charakter von Wunden, aparten Wunden eben. Zum Unterschied von häßlichen Wunden wie Beulen. Oder lächerlichen wie zwei gebrochenen Beinen.
    Er trug ein dottergelbes, flatteriges Hemd sowie ein dunkelrotes Halstuch um den weiten, offenen Kragen.

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