Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
Mamba«, erklärte er, als spreche er von der Herkunft seiner Stiefschwester oder so.
    »Die ist wohl giftig«, meinte ich.
    »Die Art auf jeden Fall«, sagte Dalgard und drückte nun seitlich gegen den Kiefer der Schlange, sodaß sich ihr Maul öffnete und den Blick auf mehrere Reihen spitzer Zähne freigab, darunter auch zwei längere, die zuvorderst vom Oberkiefer abstanden.
    »Keine Entschärfung«, stellte Dalgard fest. »Die Giftzähne sind da, wo sie hingehören.«
    »Ich fand das schon immer ekelhaft«, sagte ich, »sich solche Viecher halten. Sie mit Mäusen füttern oder … In einer Zeitung stand, Sam Soluschkas Hund hätte Sam Soluschkas Schlange gefressen.«
    »Na, die hier kann es nicht gewesen sein.«
    »Nein«, sagte ich, machte einen Schritt auf den Glaskubus zu und hob ihn ohne Umstände und ohne ein klärendes Wort in die Höhe.
    Es war einfach über mich gekommen. Ich dachte wohl, daß wenn ich eine Giftschlange packen konnte, ohne zu sterben, ich mir auch vor einem Fläschchen 4711 nicht in die Hose zu machen brauchte. Und tatsächlich blieb ein Alarm aus. Keine Falle schnappte zu, kein Boden öffnete sich, keine weitere Schlange tauchte auf. Auch nicht, nachdem ich den Glassturz am Boden abgestellt und das Flakon von seiner samtenen Unterlage genommen hatte.
    Ich betrachtete das kleine Ding in meinen Händen. Es war mir unheimlich, obgleich nichts zu erkennen war, was über die Identität eines simplen Fabrikerzeugnisses hinausgewiesen hätte. Wie gesagt, eine Ware aus dem Drogeriemarkt. Allerdings spürte ich, daß da mehr war. Ich spürte es, wie man spürt, daß die nette, kleine, pummelige Dame, die einem gerade eben die Hand reichte und mit deren Gatten man sich so gut unterhielt, daß also diese freundliche, vornehme Person einem am liebsten das Gesicht zerkratzen möchte. Sie lächelt, sagt »Hallo, meine Liebe«, aber man spürt ihren Haß, der grell und heftig ist wie ein Stück von Strawinsky. Und genau so war das mit diesem kleinen Rollfläschchen in meiner Hand, welches in den Farben Gold, Schwarz und Blau die vier Ziffern in der weltbekannten Weise offerierte. Hinter Etikett und Glas verbarg sich jedoch eine Flüssigkeit, von der ich jetzt ahnte, daß ihr ein größeres und schrecklicheres Geheimnis innewohnte, als bloß jener aromatische Nebel, in den unsere Mütter oder Großmütter sich so gerne geflüchtet hatten.
    Natürlich, ich hätte dieses Fläschchen augenblicklich zurückstellen und alles vergessen sollen. Da war nichts zu erkennen, was mich zum Handeln zwang. Die Tatsache, ein wenig Duftwasser von einer Schlange bewachen zu lassen, war kein Verbrechen. Ich hätte … Ich stellte es nicht zurück, sondern steckte es ein.
    »Zum Einbruch der Diebstahl«, kommentierte Dalgard.
    »Darum sind wir ja hier«, erklärte ich.
    »Oha!« sagte Dalgard. Mehr sagte er nicht, als dieses hübsche, kleine, barocke »Oha!«, welches wie eine schimmernde Seifenblase aus seinem Mund stieg. Dann – so plötzlich wie gelenk – warf er die Schlange in eine hintere Ecke und schlug vor: »Gehen wir.«
    Wir gingen. Die Schlange Brando war genug Schlange, um sich dort, wo sie gelandet war, zusammenzurollen und ansonsten bloß noch ein wenig herumzuzischen. Jedenfalls verfolgte sie uns nicht. Wir hatten mehr Glück als dieser Hund namens Differ.
    Ich trat mit Dalgard aus dem Raum, ohne aber die Türe wieder zu schließen. Wir hätten nur riskiert, doch noch einen Stromstoß abzukriegen. Ohnehin wäre es nun sinnlos gewesen, unser Eindringen verbergen zu wollen. Immerhin aber schloß ich die äußere Wohnungstüre hinter mir und versperrte sie. Soluschka brauchte nicht gleich zu sehen, was geschehen war.
    Als ich nun den Schlüssel im Schloß drehte, da bemerkte ich zum ersten Mal die vier fingernagelgroßen Ziffern aus rötlichem Metall, die Soluschkas Türnummer bezeichneten. Auf der Holztüre, auch diese in Rotblond gehalten, waren die gestanzten Plättchen im raschen Vorbeisehen kaum wahrzunehmen. Jetzt aber erkannte ich deutlich die vierstellige Zahl.
    Nein, es handelte sich nicht um 4711, sondern um 3902.
    »Sehen Sie das?« sagte ich zu Dalgard und tippte auf die Kennzeichnung.
    »Die Türnummer.« Dalgard hob seine Augenbrauen. »Na und?«
    »3902!? Was soll das für eine Türnummer sein? Hier in der fünften Etage.«
    Dalgard sah sich um, erkannte am Ende des Gangs eine weitere Türe und meinte, daß 02 wohl einfach den Umstand bezeichne, daß Soluschkas Loft das zweite von zweien auf

Weitere Kostenlose Bücher