Ein dickes Fell
zu ihr, »nach getaner Arbeit darauf zu vergessen, die getane Arbeit zu bezahlen.«
»Auf die Idee kommen Sie nicht«, meinte die Wienerin. Ja, sie hatte recht. Sie war nicht die Person, die man betrügen wollte. Und wenn sie meinte, daß man Geld nach Bouvet transferieren konnte, dann wußte sie wohl, wovon sie sprach.
Wir waren uns einig. Ich legte auf und fühlte mich eigentümlich erleichtert. Allerdings war noch einiges vorzubereiten. Am gleichen Abend bat ich Einar um fünfzigtausend Dollar. Ich sagte, ich bräuchte das Geld für ein Geschenk. Ein Geschenk an ihn. Das war natürlich schon als bloßes Argument, ohne den Hintergrund eines Mordauftrages, eine Frechheit. Aber ich bestand auf dieser Frechheit. Und noch in der Nacht gab Einar klein bei und versprach mir den Geldbetrag. Wie ich ihn dazu brachte, braucht hier nicht gesagt zu werden. Es ist ohne Bedeutung. Vielmehr ist hervorzuheben, wie geschwind dies alles ablief. Mittags die Drohung durch Sam, nachmittags der Anruf bei meiner Freundin, dann das Gespräch mit Wien, abends und nachts die Geldbeschaffung im Sinne – im moralischen Sinne – der Auftragnehmerin.
Was fehlte, war die Reise nach Wien. Auch diesbezüglich mußte eiligst gehandelt werden, da der Termin für die Führung durch die Dürerausstellung für den übernächsten Tag angesetzt war. Ich rief also den norwegischen Botschafter in Wien an, den ich persönlich gut kannte, und sagte unser Kommen zu. Erst dann telefonierte ich mit Einar, teilte ihm mit, was ich getan hatte und bat ihn, sich um die Buchung des Fluges zu kümmern.
»Bist du verrückt?« fragte er.
»Ich liebe Dürer«, sagte ich.
»Seit wann denn das?«
»Immer schon«, log ich.
»Das habe ich nicht bemerkt«, äußerte Einar. »Außerdem kannst du nicht einfach über meinen Kopf hinweg … Ich habe Termine.«
»Bist du jetzt der Botschafter oder nicht? Erzähl mir nicht, daß es irgendeine Sache gibt, die du nicht verschieben oder jemand anders hinschicken kannst. Lieber Einar, sei mir nicht böse, aber niemand vermißt dich, wenn du ein, zwei Tage nach Wien gehst.«
»So muß man das nicht sagen«, meinte Einar.
Nein, so mußte man das wirklich nicht sagen. Also äußerte ich noch etwas Nettes, dann war die Sache geregelt. Wir flogen nach Wien. Wir flogen zu Dürer, den ich nebenbei gesagt überhaupt nicht mag. Seine Genauigkeit hat etwas Abstoßendes und Kleinliches. Wie eine dieser Hausfrauen, die ständig herumputzen, selbst noch, wenn sie in fremde Wohnungen kommen, wo sie dann heimlich Klobrillen reinigen und den Staub von den Blättern der Topfpflanzen pusten. Wenn ich Dürers berühmtes großes Rasenstück betrachte, frage ich mich, welches Problem der Mann hatte. Soviel Grün auf einem einzigen Bild ist ungesund. Dürers Genauigkeit ist ohne wirklichen Sinn. Die Dinge werden nicht klarer. Im Gegenteil. Sie verschwinden hinter dem spitzen Strich.
Als wir nun aber die Ausstellung besuchten, war ich gezwungen, meine angebliche Liebe für Dürer zum besten zu geben. Da hatte Einar es leichter. Er mußte nichts vorgeben, er zeigte unumwunden, wie sehr es ihm auf die Nerven ging, inmitten dieser Masse von Besuchern zu stehen. Die geplante Führung, die unser norwegischer Freund selbst hatte vornehmen wollen, war unmöglich geworden, zu viele Leute scharten sich um die Gemälde und Zeichnungen und erlitten kleine und große Orgasmen angesichts der ganzen Dürerschen Welt aus Petitessen.
Plötzlich war Einar verschwunden. Möglicherweise wollte er Luft schnappen oder auch nur ins Restaurant auf einen Kaffee gehen. Jedenfalls ließ er mich ohne ein Wort in der Runde aus Botschaftern und Botschaftergattinnen zurück. Derartiges tat er hin und wieder. Flüchten.
Und dann sah ich sie. Die Frau mit dem Kind. Der hochgeschossene Junge, der eine dunkle, tief ins Gesicht stehende Mütze trug, darauf ein Symbol, das ich nicht kannte, war merkbar behindert. Er grimassierte, hatte seinen Kopf fest gegen die eine hochgezogene Schulter gepreßt und schlug mit einem Finger fortwährend in die Luft, als versuche er ein Insekt im Flug zu erschlagen. Ein dünner Junge. Dünn wie man nur dünn sein konnte. Aber ein hübsches Gesicht, schmal, blaß, fein, glasig, das Gesicht der Mutter, unverkennbar.
Durch das Stimmengewirr hindurch, vernahm ich jetzt die Frau, wie sie fragte, ob jemand so freundlich sein könne, kurz auf ihren Sohn aufzupassen. Sie müsse für einen Moment hinaus und …
Die Leute sahen erschrocken zur Seite.
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