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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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übernahm die Vorstellung. Damit war sein Zweck erfüllt, und er durfte nach hinten treten. Es war nun einer der Kriminalisten, der ohne weitere Umschweife – er hatte wohl wenig Zeit und große Sorgen – erklärte, was geschehen war, daß mein Mann im unteren Museumsbereich, inmitten Fotografien Brassaïs, erschossen worden war.
    Ich behielt die Kontenance, schrie nicht, heulte nicht, machte niemandem Vorwürfe. Die Herren waren sogleich angetan von mir. Nicht nur in der üblichen Weise. Man war einfach froh, daß ich es unterließ, die Zicke zu markieren. Statt dessen hörte ich gefaßt zu und begleitete ebenso gefaßt die vier Männer hinunter in die abgesperrte Brassaï-Ausstellung, zur Leiche meines Mannes.
    Es war schon ein wenig betrüblich, Einar zu betrachten, wie er da hinter einer Sitzbank auf dem Boden lag, die Füße noch auf dem Leder, sodaß er an einen umgeworfenen Stuhl erinnerte. Es sah unwürdig aus, clownesk. Aber noch war nicht gestattet, die Position des Körpers zu verändern. Fotos wurden gemacht, Männer und Frauen knieten gleich Archäologen neben der Leiche und fahndeten nach Spuren.
    »Ist das Ihr Mann?« fragte der eine Kriminalist.
    Ich nickte. Sogleich brachte man mich wieder hinauf. Auf dem Weg durch einen separierten Bereich der Eingangshalle fiel mein Blick auf zwei Personen, die jenseits der Absperrung zwischen anderen Besuchern feststeckten. Die Frau und das Kind. In der Zwischenzeit hatte sich herumgesprochen, was geschehen war. Die Menschen wollten das Gebäude verlassen, wurden jedoch zuvor angewiesen, sich einer Visitation zu unterziehen.
    Ich faßte nun meinerseits nach dem Ärmel des Kriminalisten und fragte ihn, ob er mir eine Bitte erfüllen könne. Dann zeigte ich hinüber zu der Frau mit dem Jungen und erklärte, die beiden zu kennen. Der Junge sei behindert. Weshalb es wichtig wäre, ihn nicht der Tortur des Wartens auszusetzen. Bevor er vielleicht einen seiner Anfälle erleide.
    Der Polizeimensch sah keine Schwierigkeit meinem Wunsch zu entsprechen, winkte einen jüngeren Kollegen herbei und gab ihm den Auftrag, zu tun, worum ich gebeten hatte.
    Natürlich war gut möglich, daß sich die Frau längst ihrer Waffe entledigt hatte. Das wäre vernünftig gewesen. Aber mein Instinkt sagte mir, daß sie nicht zu denen gehörte, die ein solches Ding etwa in einen Mülleimer fallen ließen. Ein Kind hätte die Pistole herausholen und sich oder jemand anders verletzen können. Nein, das war nicht die Frau, die eine Waffe wegschmiß wie einen angebissenen Apfel. Sie war kein Terminator, sondern eine verantwortungsvolle Mutter.
    In jedem Fall war ich froh, zu sehen, wie man sie und ihren Sohn aus dem Haus brachte. Und zwar ohne irgendeine Kontrolle vorzunehmen. Diese Wiener Polizei war sehr viel höflicher, als es ihrem Ruf entsprach. Allerdings auch ein bißchen blöd.
     
    So also starb Einar. Und wenn es denn einen Himmel und eine Hölle gibt, so wird er sicher am freundlicheren der beiden Orte gelandet sein. Kein guter Mensch, aber ein guter Kerl, wenn man versteht, was ich damit sagen will. Sein Tod war eine Frage mißlicher Umstände. Allerdings muß ich gestehen, daß er mir als Ehemann nicht wirklich abging. Schon eher unseren beiden erwachsenen Kindern, denen aber schnell etwas abgeht.
    Als ich eine Woche nach den Ereignissen Wien verließ, saß ich im selben Flugzeug, in dem auch Einars Leiche transportiert wurde. Ich hatte das weniger gewollt, als daß es sich ergeben hatte. Und dagegen konnte ich nun wirklich nichts einwenden, auch wenn es mir ausgesprochen unangenehm war. Ich fühlte mich während des Fluges wie eine Grabbeigabe.
    So kamen wir also nach Norwegen. Ich ließ Einar hoch im Norden beerdigen. Gar nicht darum, weil er von dort herstammte. Er war Osloer von Geburt, hatte diese Stadt aber immer schrecklich gefunden. Darum ja auch sein Gang in die Diplomatie. Um wegzukommen von der Stadt, von der er – wie im Falle Wiens – behauptet hatte, sie verursache ihm einen Schnupfen.
    Nun, es gibt Schlimmeres als einen Schnupfen hin und wieder. Dennoch bedachte ich Einars Aversion gegen Oslo und ließ ihn nahe Narvik begraben. Was nichts daran änderte, daß es ein Staatsbegräbnis wurde. Man hielt Einar für einen Helden, der im Kampf gefallen war. Im Kampf wofür? Für die Demokratie? Für den König? Er selbst hätte nicht sagen können, was das ganze Theater soll.
    Zwischenzeitlich waren die Ermittlungen ins Stocken geraten. Eine Menge Leute, auch Dänen, auch

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