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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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absurderweise mit dem Gegenteil eines Krieges. Während jene, denen der Krieg angetragen wird, sich ausgesprochen konventionell verhalten und völlig uninspiriert zurückschießen.
    Als ich zwei Tage später mit dem Leiter eines großen amerikanischen Verlagshauses beim Mittagessen saß, spazierte Sam an unserem Tisch vorbei. Er trug ein Hemd, das aussah wie ein explodierter Früchtekorb. Rechts und links im Arm hatte er zwei Püppchen, von denen wenigstens eines schon mal einen Grammy gewonnen hatte. Aber was bedeutet das schon? Ich meine, wenn man bedenkt, daß Hillary Clinton einen Grammy dafür bekam, ihr eigenes Buch vorgelesen zu haben. Was an sich eine gute Sache ist. Jeder Autor sein eigener Leser. Das ist sozial und ausgewogen. Aber wozu gleich einen Grammy?
    Es versteht sich, daß mein amerikanischer Freund begeistert war, als sich herausstellte, daß ich Sam persönlich kannte. Sam wiederum – eigentlich berühmt dafür, Verlegern ins Gesicht zu treten – gab sich hocherfreut. Und schon saß er mit seinen beiden Kerzenleuchtern bei uns am Tisch. Ich würde es so sagen: Mein Verlegerfreund hatte nur noch Augen für Sam. Dennoch ergab es sich nach einigen Cocktails, daß mittels einer Rochade Sam neben mir zu sitzen kam. Während die beiden Grammymädchen dem Verleger auf den Schoß rückten (vielleicht, weil sie dachten, wem man einen Grammy schenkt, dem schenkt man auch einen Pulitzer), drehte sich Sam in vertrauter Weise zu mir und führte seinen Mund nahe an mein Ohr heran. Beinahe dachte ich, er wolle mich küssen oder mir ins Ohrläppchen beißen. Statt dessen erklärte er mit ruhiger, leiser, ein wenig feuchter Stimme: »Ich habe dir Zeit gelassen, um zur Vernunft zu kommen.«
    »Spar dir die Zeit«, sagte ich.
    »Du hast recht, Honey, ich werde dir zeigen müssen, wie wichtig mir diese Sache ist. Wobei es nicht nötig sein wird, gleich das Äußerste zu tun. Nur nicht übertreiben. Andererseits würdest du mich kaum ernst nehmen, wenn ich bloß mit dem Wagen deine Katze platt fahre.«
    Ich sagte Sam, daß ich keine Katze habe. Auch keinen Wellensittich.
    »Ist mir auch lieber so. Wer mag schon Tiere opfern? Nein, Magda, ich dachte dabei an deinen Mann. Ich weiß nicht, wie sehr du ihn liebst oder brauchst oder verachtest. Egal. Er soll uns als Exempel dienen. Als Vorschau auf Schlimmeres, falls du nicht endlich das 4711 dorthin zurückstellst, wo du es genommen hast. Denn darauf bestehe ich jetzt, nicht nur auf der Zurückgabe, sondern auch darauf, daß du alles wieder so herrichtest, wie es war. Picobello und besenrein.«
    »Und wenn nicht?«
    »Dann wird dein Mann sterben. Ohne freilich zu leiden. Soweit sind wir noch nicht. Es soll ein milder Anfang werden. Ich schätze alles Milde. Anfangs.«
    »Reizend.«
    »Wie gehabt, Magda. Du nimmst mich nicht ernst.«
    Ich sagte ihm: »Wie denn auch? Du hast ja schon wieder ein scheußliches Hemd an.«
    Er senkte die Lider und lächelte wie der hübscheste Dorfpfarrer aller Zeiten. Dann wandte er sich schlagartig dem Amerikaner zu und rettete ihn vor den Begehrlichkeiten der beiden Kerzenleuchter.
    Als ich nachmittags nackt bis auf meine Highheels vorm Spiegel stand und mir das Haar richtete, überlegte ich, daß Sams scherzhafte Weise nicht heißen mußte, daß er auch immer scherzte. Seine Scherzerei war Pose. Aber was steckte hinter dieser Pose? Bloß ein großes Maul? Oder war ihm zuzutrauen, daß er, nur um seine Bereitschaft zu weit Krasserem zu bekunden, Einar töten würde? Beziehungsweise jemand zu diesem Zweck engagierte. Sam mochte kein Zuhälter im klassischen Sinn sein, aber er besaß mit Sicherheit Kontakte zur Unterwelt. Das war genau sein Stil, dieses Liebäugeln mit dem Abschaum.
    Ich verwarf die Hoffnung, Sam Soluschka könnte bloß ein wenig bluffen. Wenn jemand so verrückt war, an die Erschaffung eines Golems oder von etwas noch Monströserem zu glauben, warum sollte ihn die Tötung eines im Grunde bedeutungslosen Botschafters schrecken?
    Ich dachte nach. Denken ist ein notwendiges Unglück.
    Es kommen einem manchmal Ideen, die wären einem lieber nicht eingefallen. Sind sie aber. Und dann verliebt man sich auch noch in sie. So widerlich oder absurd sie sein mögen. Doch ihr Reiz ist ungleich größer als der Horror, den sie einem verursachen.
    Die Idee, die mir wie Muttermilch einschoß, bestand nun keineswegs darin, das 4711 ganz einfach ins Klo zu schütten, was ja das einfachste gewesen wäre, sondern ich überlegte, Sam Soluschka

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