Ein dickes Fell
ein Teufelszeug in dem Fläschchen?«
»Willst du das wirklich wissen?«
»Ja, das will ich.«
»Warum nicht. Du sollst begreifen, daß das hier kein Witz ist. Der Behälter an sich ist natürlich nichts Besonderes. Wie du selbst sagtest, den kriegt man um die Ecke. Aber die Flüssigkeit, die sich darin befindet … Es handelt sich um das erste je hergestellte 4711, lange bevor der eigentliche Markenname existierte, lange bevor irgendwelche Leute in Köln Wunderwässerchen fabrizierten. Und doch hat die Mixtur von Beginn an diesen Namen getragen: 4711.«
Soluschka erzählte von jenem Haus in Köln, das im Zuge einer Registrierung eine vierstellige Zahl erhalten hatte, welche in der Folge dem dort hergestellten Duftwasser den Namen geben sollte. Ohne daß selbst der Mann, dem der Einfall zu verdanken war, hatte ahnen können, daß diese Bezeichnung längst bestand. 4711 war immer schon 4711 gewesen.
»Ehe etwas entsteht«, sagte Soluschka, »hat es einen Namen. Ohne den Namen kein Gegenstand. Wenn es heißt Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht, so muß es natürlich tatsächlich so gewesen sei, daß Gott zunächst einmal das Wort Licht schuf, und in der Folge etwas, was diesem Wort entsprach. Also, am Anfang steht der Name 4711 und erst danach dieses Elixier, das perfekt das darstellt, was 4711 bedeutet.«
»Und zwar?«
»Leben.«
»So einfach?«
»So einfach«, sagte Sam und lächelte wie ein Kind mit seinem ersten Bonbon im Mund.
»Was für Leben?« fragte ich.
»Menschliches. Zumindest, wenn man einen Golem für einen Menschen hält, einen ersten Menschen. Du weißt doch, was ein Golem ist?«
»Ein Kerl aus Lehm.«
»Ein Kerl aus Lehm, der lebt. Im günstigsten Fall.«
»Du hältst mich zum Narren«, sagte ich.
»Du wolltest hören, Magda, worum es geht. Glaub mir oder glaub mir nicht. Auf jeden Fall möchte ich dir dringend raten, mir das Wässerchen auszuhändigen. Nicht irgendwann. Sofort.«
»Willst du mir einreden, du arbeitest an einem Golem, den man mit einem Schluck 4711 zum Leben erweckt?«
»Nicht, daß dich das was angehen würde«, meinte Sam, »aber glaube mir, ich habe anderes im Sinn als einen gespenstischen Typen, der durch Prag marschiert.«
»Meine Güte, das klingt nach Allmachtsphantasien.«
»Meine Güte«, äffte Sam nach und verzog den Mund, als biege er Eisen. »Man sollte im Leben mehr zustande bringen, als ein paar Bücher schreiben. Ich bin fünfundzwanzig. Soll ich Bestseller verfassen, bis sie mir zum Hals raushängen?«
»Wäre vielleicht die bessere Variante.«
»Was willst du überhaupt mit dem 4711?« fragte Sam.
»Es aufbewahren. Es vielleicht vernichten.«
»Vorher drehe ich dir den Hals um«, kündigte Sam an.
Ich empfahl ihm, zur Polizei zu gehen und mich anzuzeigen. »Erzähl denen doch, ich hätte dir ein Parfum gestohlen, das ich partout nicht wieder rausrücke. Wir können auch, wenn du willst, die Presse einschalten. Laß die Journaille doch berichten, wie hier zwei Armleuchter um ein Fläschchen 4711 streiten. Schön komisch.«
»Gar nicht komisch, Honey«, meinte Sam. »Darum nicht, weil du mich nicht ernst nimmst. Wahrscheinlich wegen der bunten Hemden, die ich trage. Es sind die bunten Hemden, nicht wahr?«
Ich antwortete nicht. Aber ein kleiner verächtlicher Blick auf sein grüngelbes Papageien-Kolibri-Phantasieblumen-Shirt entfuhr mir. Gegen meinen Willen. Denn an einem Hemd lag es natürlich wirklich nicht, ob jemand eine Bedrohung war oder nicht.
Während Sam sich erhob, fragte ich ihn, woher diese 4711er-Ursuppe eigentlich stamme. Ich hoffte wohl, er hätte sie ebenfalls gestohlen. Sam aber sagte: »Ein Erbstück. So in der Art eines Rembrandt, den man die längste Zeit für Schmiererei hielt.«
»Ich geb’s dir trotzdem nicht zurück«, erklärte ich kühl. So kühl es eben ging.
Sam erhob sich. Er machte ein trauriges Gesicht und schüttelte den Kopf.
»Du findest alleine hinaus«, gab ich ihm eine kleine Unfreundlichkeit mit auf den Weg.
»Klar«, sagte er und verließ den Raum.
37 Dürer und Tod
Was hatte ich eigentlich geglaubt? Daß Sam klein beigeben würde? Daß er bereit wäre, auf sein Erbstück zu verzichten?
Nun, das tat er natürlich nicht. So wenig, wie nach einer Kriegserklärung eine Welle vernünftiger Gespräche sich ausbreitet. Obgleich interessanterweise kriegserklärende Parteien genau das erwarten. Demut beim Gegner. Tiefere Einsicht. Friedensbemühungen. Kriegserklärende Parteien rechnen
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