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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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auf das Gebäude der Staatsoper, und das wiederum ist ein weiterer Witz, ein solches Opernhaus nämlich in der Mitte einer Metropole, umspült vom zeitgenössischen Verkehr der Autos und Passanten. Eine verzierte Schachtel, die sehr viel besser in einen Dschungel oder auf eine Gebirgsspitze gepaßt hätte, solcherart die Geisteskrankheit eines einzelnen Opernliebhabers dokumentierend. Indem diese Schachtel aber aus dem Zentrum Wiens aufragte, spiegelte sie zwangsläufig eine kollektive Geisteskrankheit wieder, ohne daß ich sagen möchte, alle Wiener seien geisteskrank. Andererseits pflegen nicht wenige von ihnen – erst recht Personal und Leitung des Hotels Sacher – einen Kult des Trottelhaften. Das Trottelhafte scheint die eigentliche Tradition darzustellen, die trotz aller Modernität aufrechterhalten werden muß. Es besteht eine Hans-Moser-Komik, die hier überall, auch vom noch so aufgeklärten und heutigen Zimmerdiener kultiviert wird. Es verbirgt sich ein Nuscheln und Räuspern in jedem noch so klaren Ton, ein Wackeln und Tänzeln in jeder noch so steifen Bewegung. Und da haben wir es wieder: ein Klischee als Wirklichkeit, nicht überdeutlich, aber fundamental. Ein Hotel als Irrenhaus mit irren Ärzten und irren Pflegern. Und euphorisierten Gästen, die diese ganze trottelhafte Eleganz für das Schönste auf der Welt halten. Die eigentlich Verrückten sind also nicht die Wiener, sondern die Leute, die so gerne nach Wien fahren.
     
    Die Zahl der Literaturwissenschaftler, die mich schützend umgaben, stieg in den nächsten Stunden bedeutend an. Sam hätte schon ein Gemetzel riskieren müssen, um an mich und meine Kirschentasche zu gelangen.
    Sam?
    Seit wir in Wien angekommen waren, war er aus meinem Blickfeld verschwunden. Allerdings durfte ich überzeugt sein, daß er mich nicht aus den Augen ließ. Er konnte sich ja denken, daß ich an diesem labyrinthischen Ort – in der fast jedes Gebäude wie die ausgestreckte Zunge einer unterirdischen Kreatur anmutete –, daß ich es hier versuchen würde, ihn abzuschütteln. Wenn sich denn eine ideale Möglichkeit ergab. Eine Möglichkeit, auf die ich wartete, wie man auf Sonne wartet, oder auf Regen, oder auf einen medizinischen Befund, der das Gegenteil von dem bestätigt, was man befürchtet. Ich war ohne Konzept, aber voller Hoffnung.
    Und dann war es soweit. Nach einer Reihe kleinerer Empfänge, nach einer Nacht und einem Tage im sich verwandelnden Kreise von Hamsunverehrern und Wittgensteinverehrern und nicht zuletzt auch Verehrern meiner eigenen Person, stieg ich die breiten Stufen aufwärts, die zum Eingang der neuen Wiener Hauptbücherei führten, eins von diesen Gebäuden, die quasi nur noch in ihrer ausgestreckten Zunge bestanden, einer abgeschnittenen Zunge also, die ohne Untergrund blieb, nicht zuletzt, da dieser Untergrund von einer Trasse der Wiener U-Bahn besetzt war.
    Es herrschte ein großes Gedränge, obgleich nur geladene Gäste Einlaß fanden. Aber man hatte wohl alle eingeladen, die wußten, wo Norwegen lag. Zumindest ungefähr lag. Im Licht einer Fernsehkamera räkelten sich Menschen, die ich noch nie gesehen hatte, von denen man mir aber einige vorstellte, als seien sie die wichtigsten Leute auf der Welt. Wobei ich nie erfuhr, worin die aktuelle Funktion der einzelnen Personen bestand, sondern immer nur, was sie früher einmal gewesen waren. In dieser Stadt schien die Stellung, die jemand in vergangenen Zeiten bekleidet hatte, viel wichtiger als die zu sein, die er im Moment einnahm. Man verschwieg das Aktuelle, als handle es sich um eine Niederlage oder ausgesprochene Schweinerei.
    Und da stand ich also und mußte mir eine Menge Schwachsinn zum Thema Norwegen und zum Thema Hamsun anhören. Über Wittgenstein wurde jetzt weniger gesprochen. Als hätte man Angst vor dem Knaben. Wie auch immer, ich nickte freundlich und zeigte mich angetan von allem möglichen. Sogar noch vom Sekt, der mit einer Grandezza serviert wurde, als handle es sich um eine ausgepreßte Kaiserkrone, die allerdings ein bißchen sehr nach Regenwasser schmeckte. Was soll’s? Ich war ja nicht zum Sekttrinken hergekommen.
    Sondern?
    »Magda, Liebste!« begrüßte mich der norwegische Botschafter. »So schön, daß du da bist. Wir sind alle sehr gespannt auf deine Rede.«
    Ich hätte ihm gerne gesagt, daß er ein komischer, kleiner Wicht ist. Aber das wußte er ja auch ohne mich. Weshalb ich ihm die Hand gab und meine fünf Begleiter vorstellte. Dann warf ich einen Blick auf

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