Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
würden und auch wählen lassen. Ein Schriftsteller, der weiterkommt mit seinem Schreiben, kann auf derartiges verzichten. Das ist kein Geheimnis. Die aber, die nichts mehr zu sagen haben, oder noch nie etwas zu sagen hatten, werden Präsidenten von Schriftstellervereinen und Zeitschriften und unaussprechbaren Instituten, und hin und wieder halt auch von irgendeiner Bananenrepublik.
    Das mußte ich Sam Soluschka lassen, er hätte sich für solchen Unfug niemals hergegeben. Hatte es eben auch nicht nötig. Sein Größenwahnsinn zielte in eine ganz andere Richtung.
    Es erschien mir also zwangsläufig, einen Golem dort zu suchen, wo er traditionellerweise aufzutauchen pflegte. Ob mir diese Stadt nun gefiel oder nicht.
    Da ich nun aber unter der permanenten Beobachtung von Sam und seinen Leuten stand – es mochten auch Frauen darunter sein, die ich noch gar nicht bemerkt hatte, weil ich Frauen selten bemerke –, entwickelte ich einen komplizierten Plan, der gewährleisten sollte, daß Sam mir nicht allzu rasch auf die Pelle rückte. Weshalb ich auf die Einfachheit verzichtete, das Fläschchen 4711 aus meinem Schließfach zu holen und ins nächste Flugzeug nach Prag zu steigen. Ich wäre kaum weit gekommen.
    Sam hätte sich gezwungen gefühlt, augenblicklich zu handeln. Prag, das wäre für ihn ein Fanal gewesen.
    Vielmehr wartete ich einen Termin ab, der mich nach Wien führen würde. Wien war nicht Prag, natürlich nicht, aber doch ziemlich in der Nähe. Wien bedeutete ein ideales Sprungbrett Richtung Prag.
    Zudem erschien mir Wien wesentlich geeigneter als Kopenhagen oder Oslo oder irgendeins dieser skandinavischen Nester, um Sam und seine Leute abzuschütteln. Das mochte ein Klischee sein, nämlich die labyrinthische Qualität der Stadt Wien, wo Menschen verlorengingen wie anderswo linke oder rechte Socken. Andererseits ergab sich gerade aus dem Klischee die Möglichkeit, seinen Verfolgern zu entkommen. Man kann sagen: Das Klischee ist das beste Labyrinth überhaupt.
    Man hatte mich nach Wien eingeladen, um einem festlichen Akt beizuwohnen, der dazu diente, wertvolle Autographen auszutauschen. Ein bißchen in der Art von Kriegsgefangenen, aber, wie gesagt, sehr feierlich. Die Norweger würden endlich ihre Hamsunpapiere bekommen, die Österreicher endlich ihre Wittgensteinbriefe, wozu ich nicht unwesentlich beigetragen hatte. Kein Wunder also, daß man dabei an mich als Vertreterin des norwegischen Staats dachte. Nicht ohne zu berücksichtigen, welch schmerzliche Erinnerung mich mit Wien verband. Aber ich beeilte mich zu erklären, daß ich nicht so kindisch sei, eine ganze Stadt für den Tod meines Mannes verantwortlich zu machen. Und das wäre ja auch ziemlich keck gewesen.
    Ich plante also meine Wienreise. Und bestand auf gleich fünf Begleiter. Sämtliche Herren waren Mitglieder in der Norwegischen Literaturgesellschaft und große Hamsunverehrer. Nicht zuletzt auch Verehrer meiner Person. Ich beschloß, diese fünf Männer, die alle keine Zwerge waren, für die Zeit, da ich nach Wien reisen würde, ständig um mich zu haben. Ich errichtete mir ein Bollwerk. Ein Bollwerk aus fünf großgewachsenen Literaturwissenschaftlern. Die Herren waren erfreut und verwirrt. Erst recht, als ich sie bat, mich in meine Bank zu begleiten, wo ich aus dem Schließfach ein wertvolles Familienerbstück holen wolle, um es mit nach Wien zu nehmen. Die Leute von der Bank waren nicht minder erstaunt, als ich da mit fünf Mann hoch auftauchte, welche sämtlich über jene vornehme Art des Untröstlichen verfügten. Männer wie aus dem neunzehnten Jahrhundert. Für ein Bollwerk nicht das schlechteste. Umso mehr, als dies einen absolut heutigen Menschen wie Sam Soluschka zutiefst verunsichern mußte. Sam logierte in einer Welt der Drogen, der Filmstars, der Cocktails am Vormittag, der dünnen, langen Mädchen mit ihren Grammys, in einer Welt, in der man eher einem Waffenhändler als der eigenen Mutter traute, eher mit einer schlangenhaften Steuerberaterin ins Bett ging als mit seiner Jugendliebe. Sam war gewohnt, gleich nach dem Joggen einem Kulturminister ins Gesicht zu spucken und dafür gefeiert zu werden, er war aber nicht gewohnt, daß fünf Herren, Herren!, in der aufmerksamsten Weise um eine Dame standen, ohne zu fragen, welchem Zweck das diente. Wobei diese Herren eine solche Frage nicht nur aus Höflichkeit unterließen, sondern auch, weil sie meinten, daß sich der Zweck eines Gefechts nicht vor dem Gefecht, sondern danach

Weitere Kostenlose Bücher